Selbs Justiz
mir neulich vorgelesen hast. Die rcw haben Ärger mit Mischkey, und das wird immer lästiger und lästiger, und dann sagt ein Maßgeblicher:
›Jetzt langt’s aber‹, und sein Untergebener kriegt einen Schreck und gibt seinerseits weiter: ›Sorgen Sie dafür, daß wir vor dem Mischkey Ruhe kriegen, strengen Sie sich an‹, und der das gesagt bekommt, will Einsatz zeigen und spornt seine Untergebenen an und ermuntert sie dazu, sich was einfallen zu lassen, auch ruhig was Außergewöhnliches, und am Ende dieser langen Reihe meint dann einer, was man von ihm verlangt, ist Mischkey umzulegen.«
»Aber der alte Schmalz war in Rente und stand gar nicht mehr in der Reihe«, gab seine Frau zu bedenken.
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»Schwer zu sagen. Wie viele Polizisten kenne ich, die sich auch nach der Pensionierung immer noch als Polizisten fühlen.«
»Um Gottes willen«, unterbrach sie ihn, »wirst mir doch nicht …«
»Nein, ich werde dir nicht. Vielleicht war Schmalz senior so einer, der sich immer noch im Dienst fühlte.
Was ich mit all dem sagen will, ist, daß es das Mordmo-tiv im klassischen Sinn hier gar nicht geben muß. Der Mörder ist bloß ausführendes Organ ohne Motiv, und wer das Motiv hatte, wollte drum noch nicht den Mord.
Das ist die Wirkung und letztlich auch der Zweck von Befehlshierarchien. Wir kennen das auch bei der Polizei, beim Militär.«
»Meinst du, es wäre mehr zu machen, wenn der alte Schmalz noch am Leben wäre?«
»Nun, zunächst einmal wäre Herr Selb nicht soweit gekommen. Er hätte nichts von Schmalz’ Verletzung erfahren, hätte nicht im alten Hangar gesucht und schon gar nicht dort den mörderischen Lieferwagen gefunden.
Die Spuren wären längst beseitigt gewesen. Aber gut, stellen wir uns vor, wir wären auf andere Weise zu unserem Wissen gekommen. Nein, ich denke nicht, daß wir vom alten Schmalz was rausbekommen hätten. Der muß ein ganz schön harter Brocken gewesen sein.«
»Das kann aber doch einfach nicht sein, Rudolf.
Wenn man dich hört, dann ist der einzige, den man bei solchen Befehlsketten drankriegen kann, das letzte Glied. Und die anderen sollen alle unschuldig sein?«
»Ob sie unschuldig sind, ist eine Frage, und ob man 233
sie drankriegen kann, eine andere. Schau mal, Reni, ich weiß natürlich nicht, ob wirklich was schiefgelaufen ist und ob nicht vielmehr die Kette gerade so geschmiert war, daß jeder weiß, was gemeint ist, aber keiner es aus-sprechen muß. Aber wenn sie so geschmiert war, dann ist das jedenfalls nicht nachzuweisen.«
»Soll man dem Herrn Selb dann raten, mal mit einem von den großen Tieren bei den rcw zu reden? Damit er ein Gefühl dafür kriegt, wie es sich verhält?«
»Für die Strafverfolgung hilft das auch nicht weiter.
Aber du hast recht, das ist das letzte, was er noch machen kann.«
Es tat gut, wie die zwei im Frage-und-Antwort-Spiel klärten, worüber ich in meinem angeschlagenen Zustand nicht richtig nachdenken konnte. Blieb mir also ein Gespräch mit Korten.
Frau Nägelsbach machte einen Eisenkrauttee, und wir redeten über Kunst. Nägelsbach erzählte, was ihn daran reizte, die betenden Hände zu realisieren. Er fand die gängigen plastischen Wiedergaben nicht weniger süßlich als ich. Gerade deswegen war es ihm ein Anliegen, durch die strenge Struktur des Streichholzes zur erhabenen Nüchternheit des Dürerschen Vorbilds zu gelangen.
Beim Abschied versprach er mir, das Kennzeichen von Schmalz’ Citroën zu überprüfen.
Der Zettel für Brigitte hing immer noch an der Haustür. Als ich im Bett lag, rief sie an. »Geht’s dir besser?
Tut mir leid, daß ich nicht noch mal nach dir schauen konnte, ich hab’s einfach nicht geschafft. Wie sieht dein 234
Wochenende aus? Meinst du, du bist imstande, morgen abend zu mir zum Essen zu kommen?« Irgendwas
stimmte nicht. Ihre Munterkeit klang angestrengt.
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Tee in der Loggia
Auf dem Anrufbeantworter fand ich am Samstag morgen eine Nachricht von Nägelsbach und eine von Korten. Das polizeiliche Kennzeichen am Citroën des alten Schmalz war vor fünf Jahren an einen Heidelberger Postbeamten für einen vw-Käfer ausgegeben worden.
Von dessen verschrottetem Vorgänger stammte vermutlich das Nummernschild, das ich gesehen hatte.
Korten fragte, ob ich nicht am Wochenende bei ihnen in der Ludolf-Krehl-Straße vorbeischauen wolle. Ich solle ihn doch zurückrufen.
»Mein lieber Selb, schön, daß du anrufst. Heute nachmittag einen Tee in der Loggia? Du hast einigen Wirbel bei uns
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