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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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aus. Ich machte deutlich, daß das, was ich wußte, und das, was zu beweisen war, weit auseinanderfiel.
    Judith ging mit festen Schritten neben mir her. Sie hatte die Schultern hochgezogen und hielt mit ihrer linken Hand den Kragen des Mantels gegen den Nord-wind geschlossen. Sie hatte mich nicht unterbrochen.
    Aber jetzt sagte sie mit einem kleinen Lachen, das mich tiefer traf, als wenn sie geweint hätte: »Weißt du, Ger-246
    hard, es ist so absurd. Als ich dich beauftragt hatte, die Wahrheit rauszufinden, dachte ich, sie würde mir helfen. Aber ich fühle mich hilfloser als zuvor.«
    Ich beneidete Judith um die Eindeutigkeit ihrer Trauer. Meine Traurigkeit war durchdrungen vom Erlebnis der Machtlosigkeit, vom Schuldgefühl, weil ich Mischkey, wenn auch ungewollt, ans Messer geliefert hatte, vom Empfinden, mißbraucht worden zu sein, und von einem verqueren Stolz, die Klärung so weit getrieben zu haben. Traurig machte mich auch, wie der Fall Judith und mich einander zunächst verbunden und dann doch so miteinander verstrickt hatte, daß wir uns nie mehr unbefangen würden nahekommen können.
    »Du schickst mir deine Rechnung?«
    Sie hatte nicht verstanden, daß Korten meine Ermittlungen bezahlen wollte. Als ich es ihr erklärte, zog sie sich noch mehr in sich zurück und sagte: »Das paßt wohl zu diesem Fall. Es würde auch zu ihm passen, wenn ich befördert und Chefsekretärin bei Korten würde. Mich widert das alles so an.«
    Zwischen dem Lagerhaus mit der Nummer 17 und
    dem mit der Nummer 19 bogen wir nach links und kamen an den Rhein. Gegenüber lag das rcw-Hochhaus.
    Der Rhein floß breit und ruhig dahin.
    »Was soll ich jetzt machen?«
    Ich wußte keine Antwort. Wenn sie es morgen schaffen würde, Firner die Unterschriftenmappe vorzulegen, als sei nichts gewesen, dann würde sie sich arrangieren.
    »Das furchtbare ist auch, daß Peter schon so weit weg ist, innerlich. Ich habe zu Hause alles weggeräumt, 247
    was mich an ihn erinnerte, weil es so weh tat. Aber jetzt wird mir kalt in meiner aufgeräumten Einsamkeit.«
    Wir liefen den Rhein abwärts. Plötzlich drehte sie sich zu mir, packte mich am Mantel, schüttelte mich und rief: »Damit können wir uns doch nicht einfach ab-finden!« Sie beschrieb mit ihrer Rechten einen großen Bogen, der das ganze gegenüberliegende Werk umgriff.
    »Die dürfen damit nicht durchkommen.«
    »Nein, sie dürfen nicht, aber sie tun es. Zu allen Zeiten sind die Mächtigen durchgekommen. Und hier waren es vielleicht noch nicht einmal die Mächtigen, sondern ein größenwahnsinniger Schmalz.«
    »Aber das ist doch gerade die Macht, daß man nicht mehr handeln muß, sondern einen größenwahnsinnigen Irgendwer findet, der das tut. Das kann die doch nicht entschuldigen.«
    Ich versuchte, ihr zu erklären, daß ich niemanden entschuldigen wollte, aber die Ermittlungen einfach nicht mehr weitertreiben konnte.
    »Du bist auch so ein Irgendwer, der für die Mächtigen die Drecksarbeit erledigt. Laß mich jetzt, ich finde allein zurück.«
    Ich unterdrückte meinen Impuls, sie stehenzulassen, und sagte statt dessen: »Das ist schon verrückt. Da wirft die Sekretärin des Direktors von rcw dem Detektiv, der für die rcw einen Auftrag erledigt hat, vor, er arbeite für die rcw. Was für ein Hochmut.«
    Wir gingen weiter. Nach einer Weile hängte sie ihren Arm bei mir ein. »Früher, wenn etwas Schlimmes passiert ist, hatte ich immer das Gefühl, daß es wieder 248
    wird. Das Leben, meine ich. Sogar nach meiner Scheidung. Jetzt weiß ich, daß es nie mehr werden wird, wie es war. Kennst du das?«
    Ich nickte.
    »Du, es tut mir wirklich am besten, hier noch ein bißchen allein zu laufen. Fahr ruhig. Du mußt nicht so besorgt gucken, ich mache schon keine Dummheiten.«
    Von der Rheinkaistraße sah ich noch mal zurück. Sie war noch nicht weitergegangen. Sie sah zu den rcw auf das planierte Gelände des alten Werks. Der Wind trieb einen leeren Zementsack über die Straße.
    Dritter Teil
    1
    Ein Meilenstein in der Rechtsprechung
    ach einem langen, goldenen Altweibersommer
    N brach der Winter schroff herein. Ich kann mich an keinen kälteren November erinnern.
    Ich habe nicht viel gearbeitet damals. Die Ermittlungen in Sachen Sergej Mencke gingen schleppend voran.
    Die Versicherung zierte sich, mich nach Amerika zu schicken. Das Treffen mit dem Ballettmeister hatte am Rand der Probe stattgefunden und mich über indische Tänze, die gerade einstudiert wurden, belehrt, mir sonst aber nur

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