Selbs Justiz
losging und aufräumte, war ich mit dabei.
Am nächsten Mittag war die Rückkehr aus dem Suff schon zum Ritual geworden. Zugleich war mir klar, daß 267
mit dem Saufen Schluß war. Ich fuhr in den Golden Ga-te Park und lief zwei Stunden. Am Abend fand ich ›Perry’s‹, einen Italiener, bei dem ich mich fast so wohl fühl-te wie im ›Kleinen Rosengarten‹. Ich schlief tief und traumlos, und am Montag entdeckte ich das amerikanische Frühstück. Um neun rief ich bei Vera Müller an.
Sie erwartete mich zum Lunch.
Um halb eins stand ich mit einem Strauß gelber Rosen vor ihrem Haus am Telegraph Hill. Sie war nicht die blauhaarige Karikatur, die ich mir vorgestellt hatte. Sie war etwa so alt wie ich, und wenn ich als Mann so gealtert war wie sie als Frau, dann wollte ich zufrieden sein.
Sie war groß, schlank, knochig, trug ihre grauen Haare hochgesteckt, über Jeans einen Russenkittel, hatte am Kettchen die Brille umhängen und einen spöttischen Ausdruck um die grauen Augen und den schmalen
Mund. Sie trug zwei Eheringe an der Linken.
»Ja, ich bin Witwe.« Sie hatte meinen Blick bemerkt.
»Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Sie erinnern mich an ihn.« Sie führte mich in den Salon, durch dessen Fenster ich Alcatraz sah, die Gefängnisinsel.
»Nehmen Sie einen Pastis als Aperitif? Bedienen Sie sich, ich schiebe gerade die Pizza in den Ofen.«
Als sie wiederkam, hatte ich zwei Gläser eingeschenkt. »Ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin nicht Historiker aus Hamburg, sondern Privatdetektiv aus Mannheim. Der Mann, auf dessen Anzeige Sie geantwortet haben, auch er kein Hamburger Historiker, wurde ermordet, und ich versuche herauszufinden, warum.«
268
»Wissen Sie denn schon, von wem?«
»Ja und nein.« Ich erzählte meine Geschichte.
»Haben Sie Frau Hirsch gegenüber Ihre eigene Verwicklung in die Affäre Tyberg erwähnt?«
»Nein, ich habe mich nicht getraut.«
»Sie erinnern mich wirklich an meinen Mann. Er war Journalist, ein berühmter rasender Reporter, aber bei allen seinen Reportagen hatte er Angst. Es ist übrigens gut, daß Sie es ihr nicht gesagt haben. Es hätte sie zu sehr aufgeregt, auch wegen ihres Verhältnisses zu Karl.
Wußten Sie, daß er in Stanford noch mal eine große Karriere hatte? Sarah ist in diese Welt nie hineingewach-sen. Sie ist bei ihm geblieben, weil sie meinte, es ihm, der so lange auf sie gewartet hatte, schuldig zu sein.
Und zugleich hat er nur aus Loyalität mit ihr zusam-mengelebt. Geheiratet haben die beiden nie.«
Sie führte mich auf den Küchenbalkon und holte die Pizza. »Am Altwerden gefällt mir, daß die Prinzipien Löcher kriegen. Ich hätte mir nie gedacht, daß ich mal mit einem alten Nazistaatsanwalt essen kann, ohne daß mir die Pizza im Hals steckenbleibt. Sind Sie immer noch Nazi?«
Mir blieb die Pizza im Hals stecken.
»Ist ja schon gut. Sie sehen mir nicht aus wie einer.
Haben Sie manchmal Probleme mit Ihrer Vergangenheit?«
»Mindestens für zwei Flaschen Southern Comfort.«
Ich berichtete, wie es mir am Wochenende ergangen war.
Wir saßen noch um sechs zusammen. Sie erzählte von 269
ihrem Anfang in Amerika. Bei der Olympiade in Berlin hatte sie ihren Mann kennengelernt und war mit ihm nach Los Angeles gezogen. »Wissen Sie, was mir am schwersten gefallen ist? Im Badeanzug in die Sauna zu gehen.«
Dann mußte sie zu ihrem Nachtdienst in der Tele-phonseelsorge, und ich ging noch mal zu ›Perry’s‹ und nahm nur eine Sechserpackung Bierdosen mit ins Bett.
Am nächsten Morgen schrieb ich Vera Müller beim Frühstück eine Postkarte, zahlte die Rechnung und fuhr zum Flughafen. Am Abend war ich in Pittsburgh. Es lag Schnee.
270
4
Kein gutes Haar an Sergej
Die Taxis, die mich am Abend ins Hotel und am darauf-folgenden Morgen zum Ballett brachten, waren genauso gelb wie die in San Francisco. Es war neun, das Ensemble probte schon, um zehn machten sie eine Pause, und ich fragte mich zu den beiden Mannheimern durch.
Sie standen in Strumpfhosen und Leibchen mit einem Joghurt in der Hand an der Heizung.
Als ich mich und mein Anliegen vorstellte, konnten sie kaum fassen, daß ich ihretwegen den weiten Weg gemacht hatte.
»Hast du das gewußt vom Sergej?« wandte sich
Hanne an Joschka. »Du, das macht mich unheimlich betroffen.«
Auch Joschka war erschrocken. »Wenn wir Sergej irgendwie helfen können … Ich red mal mit dem Boss.
Eigentlich müßte es reichen, wenn wir um elf Uhr wieder mit dabei sind. Dann können wir
Weitere Kostenlose Bücher