Selbs Justiz
der Weinstein noch leben würde … aber so. Ich glaube das auch nicht. Man hat sein Judiz, und je besser ich mich erinnere, desto sicherer bin ich wieder, daß das Urteil gestimmt hat.«
»Und gab es nun Signale von oben? Sie verstehen mich doch nicht falsch, Herr Beufer. Wir beide wissen, daß der deutsche Richter auch unter außergewöhnlichen Bedingungen seine Unabhängigkeit zu wahren wußte. Trotzdem wurde von interessierter Seite immer wieder versucht, Einfluß zu nehmen, und ich wüßte gerne, ob es in diesem Verfahren eine interessierte Seite gab.«
»Ach, Selb, warum läßt er die alten Sachen nicht ruhen. Aber wenn er’s für seinen Seelenfrieden wissen muß … Der Weismüller hat mich damals ein paarmal angerufen, der damalige Generaldirektor. Ihm war’s darum zu tun, daß der Fall vom Tisch und die rcw aus dem Gerede kamen. Vielleicht war ihm die Verurteilung 278
von Tyberg und Dohmke einfach deswegen recht. Es bringt eben nichts einen Fall so gründlich vom Tisch wie eine schnelle Hinrichtung. Ob Weismüller noch aus anderen Gründen die Verurteilung am Herzen lag …
Keine Ahnung, ich glaub’s eigentlich nicht.«
»Das war alles?«
»Mit Södelknecht hat Weismüller damals wohl noch zu tun gehabt. Tybergs Verteidiger hatte jemanden aus den rcw als Entlastungszeugen präsentiert, der sich im Zeugenstand schier um Kopf und Kragen geredet hat und für den sich Weismüller verwandt hat. Warten Sie, der Mann hat’s auch weit gebracht, richtig, Korten ist der Name, der jetzige Generaldirektor. Da haben wir die Generaldirektoren ja alle beisammen.« Er lachte.
Wie hatte ich das vergessen können? Ich selbst war damals froh gewesen, meinen Freund und Schwager nicht in das Verfahren einführen zu müssen, aber dann hatte die Verteidigung ihn hineingezogen. Ich war froh gewesen, weil Korten mit Tyberg so eng zusammenge-arbeitet hatte, daß seine Beteiligung im Prozeß auch auf ihn hätte Verdacht werfen, jedenfalls aber die Karriere beschädigen können. »Wußte man bei Gericht damals, daß Korten und ich Schwager sind?«
»Meiner Treu. Das hätte ich nicht gedacht. Da haben Sie Ihren Schwager damals aber schlecht beraten. Er hat sich so für Tyberg stark gemacht, daß Södelknecht ihn in der Verhandlung beinahe vom Fleck weg verhaftet hätte. Sehr anständig, zu anständig, hat Tyberg nichts genützt. Es hat ein Gschmäckle, wenn ein Zeuge der Verteidigung über die Tat nichts zu sagen weiß und nur 279
freundliche Allgemeinplätze über den Angeklagten verbreiten kann.«
Es gab nichts mehr, wonach ich Beufer noch hätte fragen müssen. Ich trank den zweiten Sherry, den er mir einschenkte, und plauderte über Kollegen, die wir beide kannten. Dann verabschiedete ich mich.
»Der Selb, jetzt geht er wieder seiner Spürnase nach.
Sie läßt ihn eben doch nicht, die Gerechtigkeit, gell?
Zeigt er sich mal wieder beim alten Beufer? Soll mich freuen.«
Auf meinem Auto lagen zehn Zentimeter frischen Schnees. Ich wischte ihn weg, kam mit Glück sicher den Berg runter auf die Bundesstraße und folgte auf der Autobahn einem Schneepflug nach Norden. Es war dunkel geworden. Das Autoradio meldete Staus und spielte Hits aus den sechziger Jahren.
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Kartoffeln, Weißkohl und heiße Blutwurst
Im dichten Schnee verpaßte ich am Walldorfer Kreuz die Abfahrt nach Mannheim. Dann fuhr der Schneepflug auf einen Parkplatz, und ich war verloren. Ich schaffte es noch bis zur Raststätte Hardtwald.
Im Stehimbiß wartete ich mit meinem Kaffee, daß das Schneetreiben aufhöre. Ich sah in die tanzenden Flok-ken. Auf einmal waren die Bilder der Vergangenheit ganz lebendig.
Es war ein August- oder Septemberabend gewesen, 1943. Klara und ich hatten unsere Wohnung in der Werderstraße räumen müssen und gerade den Umzug in die Bahnhofstraße hinter uns. Korten war zum Abendessen bei uns. Es gab Kartoffeln, Weißkohl und heiße Blutwurst. Korten war begeistert von der neuen Wohnung, lobte Klara für das Essen, und ich ärgerte mich darüber, weil er wußte, wie kläglich Klärchen kochte, und weil ihm nicht entgangen sein konnte, daß die Kartoffeln versalzen und der Kohl angebrannt war.
Dann ließ Klara uns Männer mit unseren Zigarren für eine kleine Stunde im Herrenzimmer allein.
Ich hatte damals gerade die Akte Tyberg und Dohmke auf den Tisch gekriegt. Mich überzeugten die poli-281
zeilichen Ermittlungsergebnisse nicht. Tyberg kam aus guter Familie, hatte sich an die Front gemeldet und war nur gegen seinen
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