Selbs Mord
gekommen. Die eine Seite, mit der ich auf dem Wasser aufgeschlagen war, war am nächsten Morgen ein großer blauer Fleck. Ich hatte auch eine laufende Nase und ein bißchen Fieber. Aber weh tat etwas anderes. Ich hatte die Gelegenheit gehabt, richtig zu machen, was ich seinerzeit falsch gemacht hatte. Wann hat man das schon! Aber ich habe es wieder falsch gemacht.
19
Es wächst zusammen
Die Sorbische Genossenschaftsbank liegt in Cottbus am Altmarkt. Ich ging hinein und sah mich um, bis ich aufzufallen drohte und mir an der Kasse DM 91,50 für den 50-Dollar-Schein auszahlen ließ, für den ich in der Deutschen Bank auf der anderen Straßenseite DM 99,50 bezahlt hatte.
Alles war wie in allen Banken. Das moderne Mobiliar aus Holz und Stahl und an den Wänden großflächige abstrakte Kunst. Anders als anderswo war der lebensgroße Hans Kleiner, der im Holzrelief neben der Tür stand und Eingang und Ausgang bewachte. Anders war auch, daß die Leiterin Vera Soboda einen Schreibtisch in der Schalterhalle hatte – genossenschaftliches oder sozialistisches Erbe oder der letzte Schrei moderner Geschäfts- und Menschenführung. Wenn die, die am Schreibtisch saß, auch Vera Soboda war, dann hatte die Sorbische Genossenschaftsbank eine Leiterin mittleren Alters, ein bißchen dick, ein bißchen derb, eher die Traktoristin einer LPG als eine Bankerin. Aber die Mitarbeiterinnen, die von den anderen Schreibtischen an ihren kamen, waren so rasch wieder weg, daß ich schloß, die Leiterin müsse sie kompetent und präzise belehrt haben.
Auch hier gab es neben dem Gebäude ein Hoftor. Aber obwohl ich mich den ganzen Tag frierend auf der anderen Straßenseite, im einen und anderen Geschäft, bei Eduscho und in Toreinfahrten und Hauseingängen herumtrieb, sah ich kein Auto hinein- oder herausfahren. Ich sah auch keine jungen Männer in schwarzen Anzügen. Das zahlreiche Publikum bestand aus bodenständigen, bescheidenen Sparern, manche in Anoraks und hellen Slippern, wie Karl-Heinz Ulbrich sie trug, manche in farbigen, glänzenden Trainingsanzügen, manche in Nietenhosen und -Jacken so blau, als versuche das Blau der FDJ-Hemden eine zweite Karriere in westlichem Design.
Nur noch die Kleider der Menschen kündeten vom anderen Deutschland. Die Geschäfte gehörten zu den gleichen Ketten wie in Mannheim und Heidelberg, Viernheim und Schwetzingen. Ich sah in die Seitenstraßen, und da waren ein paar mehr Straßen, die gerade aufgerissen waren, ein paar mehr Häuser, die gerade renoviert wurden, manchmal auch ein Haus im Zustand völligen Verfalls. Dafür gab es weniger Bausünden der sechziger und siebziger Jahre, und die Plattensiedlungen, die ich bei der Einfahrt des Zugs gesehen hatte, waren auch nicht schlimmer als die Siedlungen in Waldhof oder auf dem Boxberg. Es wuchs zusammen, was zusammengehört.
Am Nachmittag regnete es, die Nase lief, das Fieber stieg, und ich holte mir in der Apotheke ein Medikament, das alle Schleimhäute in Pergament verwandelte. Nein, auch die Menschen hier waren anders. Sie trugen nicht nur andere, schäbigere Kleider. Sie hatten andere, müdere Gesichter. Sie bewegten sich langsamer, zögernder, vorsichtiger. Nichts von der gewohnten Munterkeit und Entschlossenheit in Ausdruck und Gesten. Sie erinnerten mich an früher.
Ich sah mich im Schaufenster, schäbig im alten, nassen Regenmantel, das Gesicht müde, und bewegt hätte ich mich am liebsten gar nicht. Gehörte ich eher in den Osten als in den Westen?
Am Nachmittag erreichte ich von der Telephonzelle vor der Sorbischen Genossenschaftsbank aus Georg in Straßburg. Er hatte einen Namen. Paul Laban – das L stimmte, die Zeit stimmte, als Professor an der Straßburger Universität und berühmter Gutachter war Laban ein reicher Mann, und er hatte einen Ruf an die Heidelberger Universität genau zu der Zeit, als sich der stille Teilhaber nach Häusern und Wohnungen in Heidelberg erkundigt hatte.
»Gibt es Erben?«
»Er hatte keine Kinder. Was aus dem Sohn und der Tochter seiner Schwester geworden ist, weiß ich noch nicht. Aber ich werde es rauskriegen.«
Um vier schloß die Bank. Um fünf gingen die Angestellten. Um sechs ging auch die Leiterin. Ich folgte ihr zur Straßenbahn. Der Wagen war leer, und wir saßen allein, sie vorne in der zweiten Reihe und ich hinter ihr in der siebten. Nach wenigen Stationen stand sie auf und blieb auf dem Weg zum Ausstieg bei mir stehen. »Dann kommen Sie halt mit.«
20
Wie unsere früher
Wir liefen durch den
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