Selbs Mord
sie redete, desto mehr mochte ich sie. Früher dachte ich, daß die Männer die Pragmatiker und die Frauen die Romantikerinnen sind. Heute weiß ich, daß es umgekehrt ist und daß pragmatische Männer und romantische Frauen sich und den anderen nur etwas vormachen. Ich weiß auch, daß eine pragmatische Frau mit Herz und ein romantischer Mann mit Verstand selten und wunderbar sind. Vera Soboda war so eine Frau.
»Wie sind Sie hinter alles gekommen?«
»Durch Zufall, wie sonst. Man rechnet ja nicht damit und sucht nicht danach. Eine Sparerin bestand darauf, sie hätte vor einer Woche fünfzig Mark eingezahlt, ihr Sparbuch nicht dabeigehabt, und jetzt, wo sie es dabeihabe und die fünfzig Mark eintragen lassen wolle, wisse das System nichts von ihrem Geld.«
»Was haben Sie gemacht?«
»Ich kenne Frau Seilmann seit ewigen Zeiten. Eine alte Frau, vermutlich geizig wie ein Eichhörnchen, aber gewissenhaft bis zur Pedanterie. Sie hatte die Einzahlungsquittung dabei, und die läßt sich zwar leicht fälschen, aber Frau Seilmann fälscht nicht. Also habe ich die fünfzig Mark in ihr Sparbuch eingetragen und abends zu suchen angefangen, wo sie im System geblieben sind. Denn Tanja, die die Quittung unterzeichnet hat, ist ebenso gewissenhaft wie Frau Sellmann; daß sie vergessen haben sollte das Geld einzugeben, konnte ich mir nicht vorstellen.«
»Haben Sie die fünfzig Mark gefunden?«
»Wir haben ein System, mit dem wir arbeiten, und ein File, das alle Arbeitsschritte protokolliert. An das kommen wir nicht ran; weil wir mit ihm kontrolliert werden sollen, sollen wir es nicht manipulieren können. Aber ich bin ganz gut mit dem Computer, und da habe ich versucht, ins Protokoll-File reinzukommen.«
»Und?«
Sie lachte. »Sie sind richtig gespannt.«
Ich nickte. Mein Fieber wurde schlimmer, und ich hatte das Gefühl, nicht mehr lange durchzuhalten, nur noch eine kleine Weile, und in dieser kleinen Weile alles erfahren und verstehen zu müssen.
»Ich bin ins Protokoll-File reingekommen, und da war die Einzahlung der fünfzig Mark registriert. Aber gleichzeitig gab’s eine Einzahlung von fünfunddreißigtausend Mark, mehr als selbst Frau Seilmann mit ihrem Geiz jemals zusammengetragen haben konnte. Die hatten aus Versehen im Protokoll-File vermerkt, was nicht auf Frau Sellmanns richtiges, sondern auf ihr fiktives Konto gegangen war, und weil beide Einzahlungen gleichzeitig waren, hatten sie die fünfzig mit den fünfunddreißigtausend auf dem fiktiven Konto gebucht. Als ich weitersuchte, habe ich das System mit den fiktiven Konten und auf Frau Sellmanns Konto die gerade eingezahlten fünfzig und fünfunddreißigtausend und insgesamt hundertzwanzigtausend Mark gefunden, rund hunderttausend Mark mehr als auf ihrem richtigen Konto. Ich habe auch alle anderen Konten gefunden, auf denen meine armen Sorben reiche Leute sind. Und die, auf denen meine armen toten Sorben reiche lebendige Leute sind.«
»Das Ganze ist eigentlich einfach.« Ich hoffte, sie würde mir so beipflichten, daß ich es begreifen würde.
»Ja. Wenn man eine Bank hat, ist Geldwaschen nicht schwierig – auf diese und vermutlich auch auf andere Weise. Ist das Geld erst mal in der Bank, muß die Bank es nur noch so investieren, daß es verlorengeht. Das meiste Geld haben sie in Rußland investiert.«
»In ihren eigenen Unternehmen.«
»Ich nehm’s doch an.« Sie sah mich an. »Wie geht es weiter? Was passiert, wenn Sie Welker und Samarin festnehmen? Was wird aus der Sorbischen?«
»Ich weiß nicht. Früher hätte ich Nägelsbach fragen können, aber der ist in Pension, und ich will mein Geld gerne von der Badischen Beamtenbank auf die Sorbische Genossenschaftsbank transferieren, aber das wird nicht reichen. Daß ich kein Genosse bin, macht nichts, oder? Ich bin auch kein Beamter. Schuler war ein pensionierter Beamter, aber er ist tot. Verstehen Sie das? Daß Schuler tot ist, verstehe ich noch immer nicht.«
Sie sah mich alarmiert an.
Ich stand auf. »Ich muß gehen. Ich will Ihnen keine Antwort schuldig bleiben. Aber ich muß ins Bett. Ich bin krank. Ich habe Fieber. Ich bin gestern von Skins in den Landwehrkanal geworfen worden, was mir in gewisser Weise recht geschehen ist, und habe heute den ganzen Tag im Regen und in der Kälte gestanden. Meine Nase läuft nur deswegen nicht, weil ich in der Apotheke ein Medikament gegen laufende Nase genommen habe. Dafür ist mein Kopf so schwer und dumpf, daß ich lieber keinen hätte. Außerdem ist mir
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