Selbs Mord
kalt.« Meine Zähne schlugen aufeinander.
Sie stand auch auf. »Herr …«
»Selb.«
»Herr Selb, soll ich Ihnen eine Taxe rufen?«
»Das beste wäre, wenn ich mich hier auf das Sofa legen würde und Sie würden sich zu mir legen, bis mir wieder warm ist.«
Sie legte sich nicht zu mir. Aber sie bettete mich auf das Sofa, häufte auf mich, was sie an Federbetten und Wolldecken hatte, gab mir zwei Aspirin, machte mir einen Grog und hielt ihre kühle Hand auf meine heiße Stirn, bis ich einschlief.
21 Kindergesichter
Als ich aufwachte, war heller Tag. Mein Anzug hing ordentlich über dem Stuhl. Auf dem Tisch lag ein Zettel: »Ich versuche, schon um vier zu Hause zu sein. Gute Besserung!« Ich machte mir in der Küche einen Tee, nahm ihn ans Sofa und legte mich noch mal hin.
Ich hatte wieder alle fünf Sinne beieinander. Aber die Nase lief, der Hals tat weh, und ich fühlte mich so schwach, daß ich am liebsten liegengeblieben wäre und den Tag verdämmert hätte. Aus dem Fenster geguckt und gesehen, wie der Wind die grauen Wolken über den blauen Himmel treibt und die kahlen Zweige der Platane bewegt und wie die Regentropfen die Fensterscheiben hinunterlaufen. Dem Regen zugehört. Nicht an Schuler gedacht, den ich hätte retten können, wenn ich nicht zu langsam gewesen wäre, nicht an die Skins, von denen ich mich hatte zum Narren machen lassen, und nicht an Karl-Heinz Ulbrich, der mich rührte, obwohl ich ihn nicht mochte. Aber wenn ich wegdämmerte, waren sie da, Ulbrich auf der Suche nach meiner väterlichen Anerkennung und Zuwendung, die Skins und meine Angst, der taumelnde Schuler mit dem Aktenkoffer. Also stand ich auf, setzte mich an den Kachelofen und dachte an das, was mir Vera Soboda erzählt hatte. Sie hatte recht, wenn man eine Bank hat, ist Geldwaschen nicht schwierig. Das schmutzige Geld ging auf die fiktiven Konten der Kunden der Sorbischen Genossenschaftsbank, die in einem zweiten System geführt wurden, und wurde von dort in Unternehmen investiert, die nur Verluste brachten und vielleicht nicht einmal wirklich existierten. So waren die Kunden das Geld, von dessen Existenz sie ohnehin nichts gewußt hatten, auch schon wieder los, und die, denen sowohl das schmutzige Geld als auch die Unternehmen gehörten, hatten das Geld saubergewaschen. Frau Seilmann hatte hunderttausend zuviel auf ihrem Konto – selbst wenn das Prinzip nicht war, jedem hunderttausend dazuzulegen, sondern nur das Drei- oder Vierfache seines Guthabens, konnten bei ein paar tausend Kunden Millionen über Millionen gewaschen werden.
Schuler mußte mitgekriegt haben, wo schmutziges Geld verwahrt wurde. Warum war er damit nicht zur Polizei gegangen? Warum zu mir? Weil ihm nicht geheuer war, Welker hochgehen zu lassen? Seinen ehemaligen Schüler, den Sohn seines Freundes und Gönners?
Es war zwölf Uhr. Ich lief durch die Wohnung. Die Küche war einmal Teil des Bads gewesen, das Wohnzimmer war auch ihr Schlafzimmer, das Sofa auch ihr Bett, und sie hatte die Nacht im Wintergarten geschlafen, ihrem Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Computer und Hängematte. Als Leiterin der Bank mußte sie sich mehr leisten können. Was machte sie mit ihrem Geld? Neben ihrem Schreibtisch hingen Photographien von ihr ohne und mit Mann und ohne und mit Kind, einem Mädchen mit hoher Stirn und blondem Haar, so zierlich, wie Frau Soboda kräftig war. War es nicht die Tochter, sondern eine Nichte? Ich nahm ein Blatt von ihrem Schreibtisch.
Liebe Frau Soboda,
ich danke Ihnen für alles, was Sie für mich getan haben. Es war schön bei Ihnen, auch wenn es mich getroffen hat, daß ich aussehe, als wäre ich von der Staatssicherheit. Ich habe lange geschlafen, das Fieber ist fast weg, und ich bin wieder froh, daß ich meinen Kopf habe.
Ich bin nicht von der Polizei. Ich bin Privatdetektiv, und Sie werden es nicht glauben – Herr Welker hat mich beauftragt, und ich ermittele für ihn in einer Angelegenheit, von der ich ziemlich sicher bin, daß sie nur ein Vorwand ist. Aber ich weiß nicht, wofür.
Ich wüßte es gerne, ich wüßte gerne auch sonst mehr, ehe ich der Polizei sage, was ich weiß. Ich werde Sie wissen lassen, wenn es soweit ist.
Ich grüße Sie herzlich,
Ihr Gerhard Selb.
Dazu notierte ich meine Adresse und Telephonnummer. Dann ließ ich eine Taxe kommen und mich zum Bahnhof bringen. Am späten Nachmittag war ich wieder in Berlin. Ich weiß nicht, was für ein Teufel mich geritten hat. Statt meinen Flug vom nächsten auf diesen Tag
Weitere Kostenlose Bücher