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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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sein.«
    Er packte sein Hörrohr aus. »Mal gucken, ob es noch tut. Ich habe es seit meiner Assistenzarztzeit nicht mehr benutzt.« Ich hustete, hielt den Atem an, atmete ein und aus. Es rasselte, auch ich hörte es. Er schaute ernst und stand auf. »Du kriegst ein Antibiotikum, ich gehe los und hole es. Aber morgen aufstehen ist eine Schnapsidee.«
    »Ich muß.«
    »Wenn ich wieder da bin, erklärst du’s mir, und ich red’s dir aus.« Er nahm meinen Schlüssel und ging. Oder stand er immer noch an meinem Bett? Nein, er war wieder zurück, hatte das Medikament besorgt und in der Küche ein Glas Wasser gefüllt. »Nimm!« Ich hatte geschlafen.
    Er holte einen Stuhl aus der Küche und setzte sich ans Bett. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du deinen nächsten Herzinfarkt kriegst. Obwohl du weniger rauchst. Wenn du angeschlagen bist, wie jetzt, und dich auch noch anstrengst, bist du besonders gefährdet. Du machst, was du willst, ich weiß. Die Frage ist einfach: Ist, was immer du morgen vorhast, das Risiko wert? Gibt es nicht Sachen, die es mehr lohnen? Wichtigere Aufträge, ein Abenteuer mit Manu, eine wilde Nacht mit Brigitte?«
    »Früher hättest du die wilde Nacht mit Brigitte an erster Stelle genannt. Oder mir zwei rassige Krankenschwestern empfohlen.«
    Er grinste. »Was habe ich dir früher für Offerten gemacht! Alles Perlen vor die Säue. Sei froh, daß du Brigitte hast. Ohne sie wärst du ein griesgrämiger, sauertöpfischer, nörgeliger Alter.«
    »Und du?«
    »Ich? Ich bin froh, daß ich Fürzchen habe. Ich werde noch mal einen Anlauf machen und sie heiraten.«
    Ich dachte an den ersten Anlauf. Daran, wie ich mit Füruzan, der stolzen, schönen, türkischen Krankenschwester, ihrer Mutter und ihrem Bruder auf Philipp gewartet hatte. An den sternhagelvollen Philipp, der vor dem Eingang zum Standesamt bekannte, er schaffe es nicht, und den Füruzans Bruder mit einem Messer niederstach. Ich dachte an Philipp, der im Krankenhaus lag, vom Messerstich genas und am Leben und an den Frauen irre wurde. »Nichts mehr mit anderen Frauen?«
    Er hob die Hände und ließ sie sinken. »Wenn mich eine anguckt, gucke ich zurück. Ich bin wie der alte Zirkusgaul. Wenn der das Dschingderassabum hört, dreht er seine Runden. Aber lieber würde er im Stall stehen und am Hafer knabbern. Und wie das Publikum beim Zirkusgaul merkt, daß er alt ist, obwohl er noch seine Runden läuft, merken es die Frauen bei mir, obwohl ich gucke und flirte und weiß, was sie gerne hören und wie sie gerne angefaßt werden.« Er sah vor sich hin.
    »Hast du das kommen sehen?«
    »Ich dachte, wenn es soweit ist, entschädigen mich die Erinnerungen für das, was mir die Gegenwart vorenthält. Aber das Erinnern funktioniert nicht. Ich kann mir erzählen, was war und wie es war und daß es toll war, ich kann mir auch Bilder vors innere Auge halten. Aber das Gefühl stellt sich nicht ein.
    Ich weiß dann, daß ihre Brüste sich gut angefühlt haben oder ihr Hintern oder daß sie eine Art hatte, sich auf mir zu bewegen, die einfach … oder daß sie mir … Aber ich weiß es nur. Ich erlebe es nicht. Ich fühle das Gefühl nicht.«
    »Das ist nun mal so. Erinnerungen sind Erinnerungen.«
    »Nein.« Er reagierte heftig. »Wenn ich mich erinnere, wie ich mich geärgert habe, als der OP umgebaut wurde, ist wieder der Ärger da. Wenn ich mich erinnere, wie zufrieden ich über den Kauf meines Boots war, werde ich wieder zufrieden. Nur die Liebe entzieht sich der Erinnerung.« Er stand auf. »Du mußt schlafen. Mach morgen keinen Quatsch.«
    Ich lag und sah in die Dämmerung. Entzog sich die Liebe der Erinnerung? Oder war es die Lust? Hatte mein Freund Lust und Liebe verwechselt?
    Ich nahm mir vor, am nächsten Tag Welker nicht anzurufen. Ich wußte ohnehin noch nicht, was ich ihm sagen, womit ich ihm drohen, wie ich ihn stoppen sollte. Ich würde ausschlafen und ausruhen. Ich würde Turbo die Dose Makrelen servieren, die ich ihm aus Cottbus mitgebracht hatte. Ich würde ein Buch lesen und eine Partie Schach spielen, gegen Keres oder Euwe oder Bobby Fisher. Ich würde kochen. Ich würde Rotwein trinken; Philipp hatte nichts davon gesagt, daß mein Antibiotikum keinen Rotwein oder daß Rotwein nicht mein Antibiotikum vertrüge. Ich würde meinen nächsten Herzinfarkt auf später verschieben.

23
Katz und Maus
    Aber um neun Uhr weckte mich Welkers Anruf.
    »Woher haben Sie meine Nummer?« Seit fünf Jahren steht sie nicht mehr im Telephonbuch.
    »Ich

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