Selbs Mord
& Welker hätte mit seinen, Gregors, Kenntnissen von Sprache, Land und Leuten einen Wettbewerbsvorteil, den es zu nutzen gelte.
Bis dahin war Gregor Mädchen für alles gewesen, vom Chauffieren über Botengänge und -fahrten, Reparaturen in Bank, Haus und Hof bis zur Aushilfe am Schalter, bei der Buchhaltung und Aktenführung. Er hatte Abitur gemacht, bestand aber nicht darauf zu studieren, und niemand ermutigte ihn dazu. Schon als Schüler hatte er sich anstellig gezeigt und nützlich gemacht, und es war angenehm, daß er nun umfassend zur Verfügung stand. Er wohnte in der Einliegerwohnung im Haus des alten Welker an der Gustav-Kirchhoff-Straße, bezog ein bescheidenes monatliches Gehalt und bekam für Anschaffungen oder Urlaub, worum immer er bat. Aber er bat selten. Wegen der Mutter hatte er in der Schule Russisch gelernt, und einmal im Jahr reiste er nach Rußland. Er fuhr die abgelegten Wagen der Familien. Er war vertrautes Inventar.
Von seinem Vorschlag waren alle überrascht. Aber warum nicht? Warum sollte er sich nicht auch einmal zu beweisen versuchen? Wenn es nichts würde, wäre er ein bißchen raus- und rumgekommen, eine Art von Urlaub. Wenn es was würde, woran niemand recht glaubte – um so besser. Also ließ man ihn gehen.
Er blieb fast ein halbes Jahr weg. Er rief an, meldete sich über Fax und Mail, schlug die verschiedensten Investitionen im Energiesektor vor, von Elektrizitätswerken in Moskau und Swerdlowsk bis zu Bohrrechten in Kamtschatka, und kündigte manchmal russische Geschäftsleute an, die Geld im Westen anlegen wollten und sich in Schwetzingen meldeten. Die Vorschläge bewährten sich nicht und die russischen Geschäftsleute auch nicht. Aber als Gregor zurückkam, war er wie ausgewechselt. Nicht nur, daß er einen russischen Akzent mitbrachte. Er kleidete sich, bewegte sich und benahm sich anders – als gehörte er in die Leitung der Bank. Der alte Weller war gerade ausgeschieden und hatte sich auf das Altenteil im Augustinum zurückgezogen.
Bertram und Stephanie wollten Gregor nicht kränken. Hatten sie sich nicht vorgenommen, als Chefs anders zu sein als ihre Väter, keinen Hochmut, keinen Dünkel zu haben? Waren Bertram und Gregor nicht zusammen aufgewachsen? Hatte Gregor sich nicht immer für die Familien und die Bank eingesetzt?
Dann fing er an, von der Übernahme der Sorbischen Genossenschaftsbank zu reden. Bertram und Stephanie versuchten, ihm klarzumachen, warum die Übernahme ein Fehlgriff sei. Die Zukunft von Weller & Welker liege in der Anlageberatung, nicht in der Sparerbetreuung. Die Krise der achtziger Jahre sei überwunden worden, weil man kleiner geworden sei, das Unwesentliche abgestoßen und sich auf das Wesentliche konzentriert habe. Aber Gregor ließ nicht locker. Eines Tages kam er von einer Reise nach Berlin mit der Nachricht wieder, er habe die Verhandlungen mit der Treuhand, die er seit Wochen geführt habe, abgeschlossen und die Sorbische Genossenschaftsbank für einen Appel und ein Ei gekauft. Er habe die Vollmacht getürkt, und sie könnten ihn anzeigen, vor Gericht und ins Gefängnis bringen. Wenn sie schnell und entschlossen genug gegen ihn vorgingen, könnten sie vielleicht auch vom Geschäft mit der Treuhand wieder loskommen. Aber ob das ein gutes Licht auf Weller & Welker werfe? Ob die Kunden gerne vom Durcheinander in der Leitung der Bank läsen? Ob es nicht besser sei, ihn mit der Sorbischen Genossenschaftsbank machen zu lassen? Er werde sie schon flottkriegen. Es sei eine Bank der kleinen Leute, und von denen verstehe er was, er sei selbst einer von ihnen. Und schuldeten sie ihm nicht eine Chance?
Sie gaben nach, und siehe da, es schien zu klappen. Nach einem Jahr hatte die Sorbische zwar keinen Gewinn, aber auch keinen Verlust gemacht, obwohl die Hauptstelle in Cottbus und die Filialen auf dem Land hergerichtet und die Auflagen der Treuhand, das Personal zu halten, erfüllt wurden. Anscheinend gab es bei den Ossis mehr Geld, als gemeinhin angenommen wurde. Gregor schien auch ein Talent darin zu sein, Landes-, Bundes- und europäische Fördermittel zu besorgen. Ein Ost-Erfolg!
Bis Stephanie dahinterkam. Sie traute dem schönen Schein nicht, sie traute Gregor nicht, und sie hatte keine Skrupel, an Gregors Unterlagen im Aktenschrank und im Computer zu gehen und mit Hilfe eines emigrierten russischen Ökonomen, den sie in Berlin fand, zu übersetzen, was sie nicht verstand. Sie informierte Bertram, und zusammen konfrontierten sie Gregor. Er habe
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