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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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weiß, es ist Sonntag morgen. Aber ich muß darauf bestehen, daß Sie hier vorbeischauen. Parken Sie im Hof, das macht’s Ihnen immerhin …« Er redete nicht weiter. Inzwischen kannte ich das Spiel: Welker begann, dann wurde die Telephonmuschel abgedeckt, dann fuhr Samarin fort. »Wir erwarten Sie gegen Mittag. Zwölf Uhr.«
    »Wie komme ich in den Hof?«
    Er zögerte. »Klingeln Sie dreimal.«
    Also nichts mit Ausschlafen und Ausruhen, Kochen, Lesen und Schachspielen. Ich ließ Wasser in die Wanne laufen, gab eine Portion Rosmarin dazu und legte mich hinein. Turbo kam, und ich ärgerte ihn mit gezielten Wassertropfen. Wasser auf den Daumen und mit dem Zeigefinger schnippen – mit Training kann man es darin zur Meisterschaft bringen. Ich habe jahrelang trainiert.
    Warum zögerte ich, wie ich mich zur Geldwäsche meines Auftraggebers verhalten sollte? Eigentlich gab es keine Wahl. Die russische Mafia, die kein Niveau und keinen Stil hatte, keine Tradition, keine Religion und vermutlich auch keinen Humor – auch wenn RTL sich nicht für sie interessierte, die Polizei würde es tun, und das war recht so. Warum rief ich sie nicht an? Warum hatte ich sie nicht schon gestern angerufen? Ich merkte, daß ich es einfach nicht konnte, solange Welker noch mein Auftraggeber war.
    Also hatten der frühe Anruf und die Verabredung auf zwölf doch ihr Gutes. Ich konnte meinen Auftrag abschließen. Ich holte das Telephon an die Wanne und rief Georg an, der mir die traurige Geschichte der Familie Laban zu Ende erzählte. Labans Nichte war Anfang der dreißiger Jahre in Davos an Tuberkulose gestorben, der Neffe hatte sich und seine Frau in der Reichskristallnacht umgebracht. Der Sohn des Neffen und seine Frau waren kinderlos in London gestorben. Die Tochter hatte es nicht mehr ins Ausland geschafft; sie war untergetaucht, als die Deportationen anfingen, und seitdem verschollen. Da war niemand mehr, der Erbansprüche geltend machen konnte.
    Ich stieg aus der Wanne und trocknete mich ab. Ich finde, daß Dorian Gray übertrieben hat; man muß nicht Jahr um Jahr wie zwanzig aussehen wollen, wenn man älter wird, und er durfte sich nicht wundern, daß es mit ihm kein gutes Ende nahm. Aber warum kann ich nicht wie Sechsundsechzig aussehen? Mit welchem Recht sind meine Beine und Arme so dünn geworden? Mit welchem Recht hat ihr Fleisch seine alte Heimat verlassen und unter meinem Bauchnabel eine neue gefunden? Kann es mich nicht fragen, ehe es in meinem Körper auf Wanderschaft geht?
    Klaglos zog ich den Bauch ein, als ich die Cordhose anzog, die ich lange nicht mehr getragen hatte. Ein Rollkragenpullover, die Lederjacke, und schon sah ich fast wie Sechsundsechzig aus. Zum Frühstück legte ich Udo Jürgens auf. Um Viertel nach zwölf war ich in Schwetzingen.
    Samarin brachte mich in die Wohnung im ausgebauten Dach. Auf dem Weg durch die alte Schalterhalle und die neuen Büroräume spielten wir Katz und Maus miteinander.
    »Ich höre, Sie waren auf der Mannheimer Polizei.«
    »Ich habe Ihren Rat befolgt.«
    »Meinen Rat?«
    »Ihren Rat, nicht zu behalten, was mir nicht gehört. Ich habe es auf die Polizei gebracht. Da kann sich melden, wer es vermißt.«
    Welker war nervös. Meinem Bericht über den stillen Teilhaber hörte er kaum zu. Er sah auf die Uhr, noch mal und noch mal, und hielt den Kopf, als horche und warte er auf etwas. Als ich mit meinem Bericht fertig war, dachte ich, es kämen Fragen. Fragen, wenn nicht zum stillen Teilhaber, dann zu Schuler, zum schwarzen Koffer, zu meiner Flucht zur Polizei oder zu meinem Verschwinden aus Mannheim. Fragen, die drängten und deshalb am Sonntagmorgen beantwortet werden mußten. Aber es kam nichts. Welker saß da, als gehe es eigentlich um etwas anderes und als könne er kaum erwarten, daß es zur Sprache kommt. Aber er sagte nichts, sondern stand auf.
    Ich stand auch auf. »Das war’s. Sie kriegen noch die Rechnung.« Allerdings würde mein ehemaliger Auftraggeber vielleicht schon morgen im Gefängnis sitzen und meine Rechnung erst nach Jahren lesen. Sechs? Acht? Was gab’s für Organisierte Kriminalität?
    »Ich bringe Sie zu Ihrem Wagen.«
    Vorneweg Samarin, dann ich und hintendrein Welker gingen wir durch die Büros und die Treppe hinunter. In der Halle nahm ich von den alten Schaltern mit den hölzernen Gittern, von den Intarsien und den Sitzen mit den samtenen grünen Kissen Abschied. Schade, ich hätte gerne eine Weile auf einem der Sitze gesessen und über die Zeitläufe und die

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