Selbs Mord
Menschen, das Leben. Und weil ich weiß, wen ich wann und wo um Hilfe bitten kann. Aber heute reicht das nicht mehr. Die paar Fälle, die ich noch kriege, tragen kaum das Büro. Zu zweit würden wir auch nicht mehr kriegen.«
Er fuhr am Luisenpark entlang. Die Polizei war wieder weg. Wiese und Büsche und Bäume lagen friedlich im Grau der Dämmerung.
»Könnten Sie nicht … Ich weiß nicht, ob Sie nicht mein Vater sind oder ob Sie es nicht sein wollen. Ich würde gerne mal ein Bild von meiner Mutter sehen und wissen, was für ein Mensch sie war. Und wenn Sie es nicht sind – wer könnte mein Vater sein? Sie müssen doch einen Verdacht haben! Ich weiß, Sie wollen, daß ich Sie in Ruhe lasse. Aber Sie können doch nicht tun, als gäbe es mich und uns nicht!«
»Uns?«
»Sie müssen nicht immer wieder dieselbe Frage stellen. Sie wissen schon, wovon ich rede. Wir sind euch lästig, und ihr hättet am liebsten, daß wir drüben bleiben und ihr von uns nichts hört und nichts seht.« Er war wieder gekränkt. Was die Staatssicherheit für sensible Kerlchen rekrutiert hatte!
»Das stimmt nicht. Ich war gerade in Cottbus und fand es eine hübsche kleine Stadt. Ich bin einfach nicht Ihr Vater, und wenn Sie aus Sinsheim wären, wäre ich’s auch nicht mehr als jetzt, wo Sie aus … woher sind Sie?«
»Aus Prenzlau, nördlich von Berlin.«
Ich sah ihn von der Seite an. Sein braves, gekränktes Gesicht. Sein ordentlich gescheiteltes Haar. Seinen beigen Anorak. Seine glänzende schwarze Plastikhose und seine hellgrauen Slipper. Ich hätte ihm lieber was zum Anziehen gekauft als was von Klara erzählt. Aber mir war klar, daß ich nicht darum herumkam.
»Wie lange bleiben Sie noch in Mannheim? Wollen Sie am nächsten Sonntag zu mir kommen? Und mich bis dahin in Ruhe lassen?«
Er nickte. »Ist vier recht?«
Wir verabredeten uns auf vier. Dann waren wir auch schon in der Richard-Wagner-Straße. Er eilte ums Auto und hielt wieder die Beifahrertür auf.
»Danke!«
»Gute Besserung!«
9 Reversi
Ich blieb den ganzen Tag im Bett. Turbo kringelte sich auf meinen Beinen und schnurrte. Brigitte kam über Mittag und brachte Hühnersuppe. Am Abend rief Philipp an. Er machte sich Vorwürfe, daß er mich am Sonntag nicht nach Hause geschickt hatte. Ob mein Herz alles verkraftet habe? Nägelsbach gehe es ordentlich, und am Mittwoch könne ich ihn besuchen. Dann sollten wir drei auch miteinander reden. »Die Polizei war heute nicht hier. Kannst du dir vorstellen, daß wir uns raushalten können? Ich kann’s nicht.«
Aber wir konnten. Nur Welker wurde von der Polizei vernommen. Er berichtete von Gregor Samarins russischer Herkunft, seinen Reisen nach Rußland, dem halben Jahr, das er dort verbracht hatte, seinen obskuren Kontakten und seinen Versuchen, für angebliche russische Anleger große Mengen Bargeld bei Weller & Welker einzuzahlen. In einem Mülleimer im Luisenpark nahe dem Eingang Werderstraße fand die Polizei die Pistole, mit der Gregor erschossen worden war – eine Malakov. Er hatte eine Zwangsjacke an und war von hinten erschossen worden – eine Hinrichtung. Nachbarn hatten Schüsse, Autotüren zuschlagen und Autos wegfahren hören – eine Bandenangelegenheit.
Der Mannheimer Morgen titelte am Dienstag »Exekution im Luisenpark?« und am Mittwoch »Bandenkrieg in Mannheim?«. Ein paar Tage später fragte er, ob die russische Mafia sich im kriminellen Milieu Mannheims und Ludwigshafens festgesetzt habe. Aber das war nur noch eine kleine Notiz.
Philipp und ich saßen an Nägelsbachs Krankenbett und waren eigentümlich befangen. Wie Buben, die einen Streich gespielt haben, der zwar für sie glimpflich verlaufen ist, bei dem aber jemand anders zu Schaden kam. So hatten’s die Buben nicht gewollt. Aber nichts ließ sich mehr in Ordnung bringen. Wahrscheinlich gehörte Welker verurteilt. Wahrscheinlich gehörten Nägelsbach und Philipp disziplinarisch belangt. Wahrscheinlich gehörte ich des fahrlässigen Ichweißnichtwas angeklagt.
»Ach Teufel … Eigentlich bin ich jeden Tag optimistischer, daß die Polizei nichts von uns will – heute schon vier- und morgen achtmal so optimistisch wie Montag.« Philipp grinste.
»Sie werden mich nicht verstehen«, Nägelsbach sah uns um Entschuldigung bittend an, »aber ich will die Polizei nicht raushalten. Ich war immer im reinen mit mir und dem Gesetz. Gut, ich habe mit Reni über meine Fälle gesprochen, was ich nicht hätte tun dürfen. Aber sie ist völlig verschwiegen,
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