Selbs Mord
Aktenberge wirkten chaotisch und waren doch wohlgeordnet. Er sollte mit seinen Medikamenten nicht zurechtgekommen sein?
Philipp drängte. »Was anderes, Gerd. Du mußt …«
»Und wenn ich rausfinde, was für Medikamente er genommen hat? Wenn ich seinen Arzt rauskriege und du ihn anrufst?«
»Was soll er sagen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hat er Schuler tatsächlich nur ein neues Medikament verschrieben, das ihm schlecht bekommen ist. Oder Schuler hat sich selbst Tabletten besorgt, und der Arzt weiß, daß sie sich mit den verschriebenen nicht vertragen haben. Aber vielleicht erfahre ich von ihm auch, daß Schuler eine Erdbeerallergie hatte und daß jemand ihn gezwungen haben könnte, eine Erdbeere zu essen. Daß er Asthma hatte und einen tödlichen Schrecken bekommen hätte, wenn man ihm das Sprühfläschchen weggenommen hätte, mit dem Asthmatiker sich Erleichterung verschaffen. Wenn ich weiß, was ihn erschreckt haben könnte, kann ich besser nach dem suchen, der es war.«
»Wenn du was rausfindest, kümmere ich mich darum.« Er gab sich Mühe, engagiert zu klingen, aber ihn beschäftigte etwas anderes. »Du mußt Nägelsbach stoppen. Du mußt ihn stoppen, ehe es zu spät ist. Ich hab’s dir nicht erzählt, weil man ungelegte Eier nicht begackern soll, aber ich bin im Gespräch für die Leitung der chirurgischen Abteilung einer wirklich phantastischen privaten Klinik. Gerade jetzt brauche ich ein Verfahren wie einen Kropf.«
»Ich dachte, du würdest pensioniert.«
»Werde ich auch. Aber die Privaten handhaben die Altersgrenze flexibler. Von morgens bis abends die Blumen auf dem Balkon pflegen und das Boot bewegen – es ist nichts für mich. Und die Schwestern … Stell dir vor, ich kriege die Chance, noch mal von vorne anzufangen. Wo zu arbeiten, wo Füruzan nicht ist, mich nicht im Auge hat und die anderen nicht wegbeißt. Vielleicht fühle ich mich überhaupt nur deshalb als alter Zirkusgaul. Weil sie immer nebendran steht.«
»Ich habe schon mit Nägelsbach geredet.«
»Seine Seele, seine Seele … Meine Seele geht vor die Hunde, wenn ich das Krankenhaus nicht mehr habe.« Er sah mich völlig verzweifelt an. War’s das, was die Frauen an ihm mochten? Daß er, wenn er in einer Stimmung war, ganz und gar in ihr war?
»Auch wenn du es nicht gerne tust – wenn du was von Nägelsbach willst, mußt du mit ihm reden.«
»Ich bin bei so was nicht gut.«
»Versuch’s. Er ist nicht verbohrt, er ist nur furchtbar gewissenhaft. Aber er nimmt ernst, was du ihm sagst.«
Philipp sagte traurig: »Ich werde heftig, auch wenn ich’s nicht werden will. Die Schwestern mögen es, wenn ich sie anbrülle. Nägelsbach wird’s nicht mögen.« Er sah auf die Uhr und stand auf. »Ich muß los. Was, meinst du, wird er machen?«
»Er geht gleich nach der Entlassung zur Polizei oder gar nicht, und ehe er geht, sagt er es uns. Aber bis zur Entlassung mußt du wohl warten.«
Er lachte und schüttelte den Kopf, als müßte ich es eigentlich besser wissen. »Wie soll ich so lange warten?«
12 Verreist
Ich bin nach Schwetzingen gefahren, habe bei Schulers Nachbarn geklingelt und nach der Adresse von Schulers Nichte gefragt, bis einer mich hinter die Bahnlinie in die Werkstraße schickte. Das Gartentor war offen, und an der Haustür fand ich einen Zettel, Frau Schubert sei gleich wieder zurück.
Ich wartete. Im Kleingarten auf der anderen Straßenseite wurden Gartenzwerge in einer Zinkwanne gebadet, tauchten schmutzig und traurig ein und sauber und fröhlich wieder auf.
Sie kam auf dem Fahrrad. »Ach, Sie sind’s. Ich mach uns Kaffee.«
Ich half, die Einkäufe ins Haus zu tragen. Dann kam der Getränkeauslieferer, für den sie den Zettel an der Haustür gelassen hatte, und ich trug die Bier-, Limonade- und Sprudelkisten ins Haus, die er am Gartentor absetzte. Als ich fertig war, war der Kaffee durch die Maschine gelaufen.
Sie war ein bißchen verlegen. »Ich hab Ihren Namen nicht behalten und Ihnen keine Todesanzeige geschickt. Kommen Sie deswegen? Die Beerdigung ist nächste Woche Dienstag.«
Ich versprach zu kommen, und sie lud mich zum anschließenden Leichenschmaus ein. Als ich von Büchern redete, die ich ihrem Onkel geliehen hätte und wieder brauchte, war sie bereit, mit mir in Schulers Haus zu fahren und mich nach den Büchern suchen zu lassen. Auf der Fahrt erzählte sie von dem Angebot, das sie für die Bibliothek ihres Onkels bekommen hatte.
»Stellen Sie sich vor – fünfzehntausend
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