Selbs Mord
und außerdem habe ich den einen und anderen Fall nur dank ihrer Hilfe gelöst. Das hier ist was anderes. Welker gehört vor Gericht. Was Samarin ihm angetan hat, ist sicher ein mildernder Umstand. Aber wie der zu Buche schlägt, ob es ein paar Jahre gibt oder Bewährung oder Freispruch – das muß der Richter entscheiden.«
»Was meint Ihre Frau?«
»Sie meint …« Er wurde rot. »Sie sagt, daß es um meine Seele geht. Und daß sie und ich die Konsequenzen schon verkraften und daß sie, wenn’s sein muß, arbeiten geht.«
»Um Ihre Seele?« Philipp sah Nägelsbach an, als wäre der nicht bei Trost. »Und was ist mit meiner?«
Nägelsbach sah ihn unglücklich an. »Ich kann nicht mein Leben lang dafür arbeiten, daß Leute für das, was sie getan haben, zur Verantwortung gezogen werden, und auf einmal …«
»Das Gesetz verlangt von Ihnen nicht, daß Sie zur Polizei gehen und Welker vor Gericht bringen. Sie bleiben mit ihm im reinen, wenn Sie’s nicht machen.«
»Ach, Herr Selb, Sie wissen schon, was ich meine.«
Philipp stand auf, schlug sich mit der Handfläche vor die Stirn und ging aus dem Zimmer. Nägelsbach spielt nicht Schach, und so hatte ich Reversi mitgebracht. »Spielen wir?«
Wir saßen, setzten die Steine und wendeten sie von der roten auf die grüne und von der grünen auf die rote Seite. Als das erste Spiel fertig war, spielten wir schweigend noch eines und dann noch eines.
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Ich verstehe auch, was Ihre Frau gesagt hat. Es hat auch sonst was für sich, zur Polizei zu gehen. Erinnern Sie sich an den Menschen, der in Ihre Abschiedsparty geplatzt ist und mich sprechen wollte? Er hat uns beobachtet, und ich halte für möglich, daß er uns erpressen will. Wahrscheinlich eher Welker als Sie oder Philipp oder mich.«
»Nein, ich erinnere mich nicht.« Er lächelte verlegen. »Ich war auf meiner Abschiedsparty ein bißchen aus dem Tritt.«
»Ich riskiere von uns dreien am wenigsten, wenn Sie zur Polizei gehen. Fahrlässige Tötung, weil wir Welker Samarins Pistole haben nehmen lassen – das läßt sich konstruieren. Aber klingt’s nicht wirklich arg konstruiert? Anders als für Sie und Philipp gibt es für mich kein Disziplinarverfahren. Und für einen Privatdetektiv ist unsere Aktion auch kein Publicity-Problem, im Gegenteil. Für einen Polizeibeamten im Ruhestand und den Chirurgen an den Städtischen Krankenanstalten sieht das anders aus. Auf mich müssen Sie keine Rücksicht nehmen. Aber wir waren nun mal zu dritt, haben die Sache gemeinsam geplant, vorbereitet und durchgeführt und können jetzt auch nur gemeinsam entscheiden, ob wir die Polizei informieren oder nicht. Also entweder überzeugen Sie Philipp, oder Sie müssen ertragen, daß Welker nicht vor Gericht gestellt wird.«
Ich wartete, aber er sagte nichts. Er lag mit geschlossenen Augen.
»Was übrigens Welkers Rechtfertigung angeht – ich glaube, daß er recht hat. Daß Samarin ihn nicht in Ruhe gelassen hätte. Wie hätten Polizei und Gericht ihm dagegen geholfen? Gar nicht – Sie wissen es ebenso wie ich.«
Langsam öffnete er die Augen. »Ich muß über alles noch mal nachdenken. Ich …«
»Zur Seele will ich noch was sagen. Sie verlieren doch Ihre Seele nicht, wenn Sie mal mit sich und dem Gesetz nicht im reinen sind! Es ist gerade umgekehrt: Wenn Sie mit sich und dem Gesetz immer im reinen sind, brauchen Sie keine Seele. Die ist dazu da, daß wir mit uns ins reine kommen, wenn wir’s eigentlich nicht sind. Ich mag keine korrupten Polizisten. Aber ich kenne welche, die sich mal etwas haben zuschulden kommen lassen, die nicht leicht daran getragen haben, aber damit ins reine gekommen sind und gerade deswegen besonders überzeugende Polizisten geworden sind. Polizisten mit viel Seele.«
»Kenne ich auch. Allerdings habe ich sie immer ein bißchen verachtet.« Er richtete sich im Bett auf, zeigte mir mit einer Armbewegung das Zimmer, den leeren Platz für das zweite Bett, den Fernsehapparat, das Telephon und die Blumen und versuchte einen Scherz. »Sehen Sie, auch ich werde korrumpiert. Ich selbst könnte das alles nicht zahlen. Welker zahlt.«
10
Wie ein Auftrag
Am Abend saß ich in meinem Büro und schrieb Vera Soboda einen Brief. Daß mit der Geldwäsche bei Weller & Welker Schluß sei. Daß die Bank ein Irrenhaus gewesen sei, in dem die Irren die Ärzte und Schwestern eingesperrt und sich selbst als Ärzte und Schwestern ausgegeben hätten. Daß Samarin, der Anführer der Irren,
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