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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Mark!«
    »Erben Sie alles?«
    »Er hatte keine Kinder, und mein Vetter ist vor ein paar Jahren mit dem Drachenflieger abgestürzt. Ich erbe sein Haus, und daran ist so viel zu machen, daß ich über das Geld für die Bücher froh bin.«
    Ich weiß nicht, was alte Bücher wert sind. Aber ich lief durch Schulers Haus und sah, daß er eine besondere Bibliothek zusammengetragen hatte. Bücher zum einen über das Land zwischen Edingen und Waghäusel und zum anderen über die Eisenbahnen und Banken in Baden – ich konnte mir nicht vorstellen, daß es dazu Gedrucktes geben sollte, das ich nicht hier fände. Das meiste waren kleine Broschüren, aber dazwischen gab es dicke, in Leinen oder Leder gebundene, manchmal mehrbändige Werke aus dem 19. Jahrhundert etwa über die Justierung des Rheins und die Meliorisierung seiner Auen durch Oberst Tulla, die Viadukte und Tunnels der Eisenbahn im Odenwald oder die Schiffahrtspolizei auf Rhein und Neckar von ihren Anfängen bis auf den heutigen Tag. Ich widerstand der Versuchung, die Begebenheiten beim Bau des Bismarckturms auf dem Heiligenberg als eines der Bücher auszugeben, die ich Schuler geliehen hatte, und mitzunehmen.
    Im Badezimmer war die Ablage über dem Waschbecken voll mit Medikamenten. Tabletten für Herz und Blutdruck, gegen Schlaflosigkeit und Kopfschmerz, Verstopfung und Durchfall, für die Kräftigung der Prostata und die Beruhigung des vegetativen Nervensystems, Venen- und Rheumasalben, Hühneraugenpflaster und -messer – vieles mehrfach, vieles über dem Verfallsdatum, manche Tuben eingetrocknet und manche Tabletten gelb, die einmal weiß gewesen waren. Ich ließ die Messer, Pflaster und Salben, die Verstopfungs- und Durchfalltabletten und die Aufbau- und Kräftigungsmittel. Die Beruhigungs- und Schlafmittel, Herz- und Blutdrucktabletten steckte ich ein, sieben Päckchen. Die Ablage war immer noch voll genug.
    Frau Schubert hatte alle Fenster aufgemacht, und die Frühlingsluft kämpfte gegen den Schulerschen Gestank an. In der Küche roch es nicht mehr nach fauligem Essen und Keller, sondern nach Putzmittel mit Zitrone, und es war blitzblanke Ordnung eingekehrt.
    »Sie haben Ihre Bücher nicht gefunden?« Frau Schubert sah meine leeren Hände.
    »Ihr Onkel hat zu viele. Ich hab’s aufgegeben.«
    Sie nickte, mitfühlend und stolz zugleich.
    »Wie Medikamente – von denen hatte er auch zu viele. Ich mußte ins Bad, und da ist alles voll mit ihnen.«
    »Er hat halt nichts wegwerfen können. Außerdem hat er die alten Medikamente gemocht, die in den Fläschchen. Die neuen in Plastik und Aluminium hat er mit seinen gichtigen Fingern nicht aufgekriegt. Ich habe ihm die Tabletten immer rausmachen und umfüllen müssen.« Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge.
    »Bei wem war er in Behandlung?«
    »Bei Dr. Armbrust in der Luisenstraße.«
    Beim Weg zur Haustür kamen wir an der Wand vorbei, an der Schuler seine Photographien aufgehängt hatte. Eine zeigte ihn selbst, wie er jung und mit breitem Grinsen neben seiner Isetta steht und die Hand auf sie legt wie ein Feldherr auf den Kartentisch. Wir schauten sie so lange an, bis Frau Schubert wieder weinte.
    Von der Telephonzelle an der Hebelstraße, von der Welker seinerzeit nicht hatte telephonieren wollen, rief ich Philipp an. »Dr. Armbrust in der Luisenstraße in Schwetzingen.«
    »Ach, Gerd.« Ich war ihm hörbar lästig. Aber er fügte sich. »Ich rufe sofort an.«
    Als ich ihn wenig später wieder anrief, erfuhr ich, daß Dr. Armbrust für drei Wochen in Urlaub war. »Gibst du jetzt Ruhe?«
    »Kannst du ihn zu Hause anrufen? Statt in der Praxis? Es ist doch nicht ausgeschlossen, daß er nicht weggefahren ist.«
    »Du meinst …«
    »… gleich. Ja, ich meine gleich.«
    Philipp seufzte. Aber er suchte die Nummer heraus und sagte zu mir: »Bleib dran, ich ruf ihn mit dem Handy an.« Dr. Armbrust war ebensowenig zu Hause wie in der Praxis. Die Haushälterin erklärte, er sei bis zum letzten Urlaubstag verreist.

13
Gedeckter Apfelkuchen und Cappuccino
    Am Sonntag nachmittag kam Ulbrich. Er nahm mir nicht mehr übel, daß ich mich nach wie vor weigerte, sein Vater zu sein. Ich hatte mal gelesen, daß Ossis es gerne gemütlich haben, und am Samstag gedeckten Apfelkuchen gebacken. Er aß ihn mit Behagen und fragte nach Schokoladenstreuseln, um mit ihnen und der Sahne, die ich geschlagen hatte, aus seinem Kaffee einen Cappuccino zu machen. Turbo ließ sich von ihm kraulen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß es

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