Selbs Mord
im Sozialismus gemütlicher war.
Ich hatte ihm ein paar Photos von Klara rausgesucht. Fünf Alben stehen im Regal, eines mit Klara als Baby und kleines Kind, mit Bruder und Eltern, eines mit Klara als Tennis-, Ski- und Tanzstundenschönheit, eines von unserer Verlobung, Hochzeit und Hochzeitsreise, eines aus den letzten Monaten in Berlin und den ersten Jahren in Heidelberg. Alle Alben machen mich traurig. Am traurigsten macht mich das letzte aus der Nachkriegszeit und den fünfziger und sechziger Jahren. Klara, die von einem strahlenden Leben an der Seite eines Staatsanwalts mit glänzender Karriere geträumt und dabei selbst gestrahlt und geglänzt hatte, mußte sich statt dessen mit kärglichen Verhältnissen bescheiden und wurde bitterer und bitterer. Damals hatte ich ihre Bitterkeit und ihre Vorwürfe übelgenommen. Ich konnte nun einmal nicht mehr Staatsanwalt sein, zuerst, weil man mich wegen meiner Vergangenheit nicht mehr haben wollte, und dann, weil sich in mir alles dagegen sträubte, mit den anderen zu tun, als hätten wir keine Vergangenheiten, auch wenn man uns dazu aufforderte. Ich war Privatdetektiv – konnte sie das nicht akzeptieren? Konnte sie mich nicht lieben, wie ich war? Jetzt weiß ich, daß die Liebe ebenso wie dem Gesicht, dem Lachen, dem Witz, der Klugheit oder der Fürsorglichkeit des anderen auch seiner Stellung in der Welt und den Umständen seines Lebens gelten kann. Ob sie eine glückliche Mutter geworden wäre? Nach Karl-Heinz Ulbrich konnte sie keine Kinder mehr haben; bei seiner Geburt mußte etwas schiefgelaufen sein.
Aber man sah es ihr nicht an. Auf dem Photo vom April 1942, das ich nach ihrer Rückkehr vom angeblichen Italienurlaub mit Gigi vor dem Haus in der Bahnhofstraße aufgenommen hatte, lachte sie. Auch das vom Juni 1941, auf dem sie Unter den Linden entlanggeht, zeigte sie fröhlich. Ob der andere es gemacht hatte? Dazu hatte ich ein Photo aus der Schulzeit gelegt, eines aus den fünfziger Jahren, auf dem sie endlich wieder Tennis spielt, weil ich immerhin dafür wieder genug verdiene, und eines kurz vor ihrem Tod.
Ulbrich sah die Bilder langsam an, ohne ein Wort zu sagen. »Woran ist sie gestorben?«
»Sie hatte Krebs.«
Er machte ein bekümmertes Gesicht und schüttelte den Kopf. »Gerecht ist es trotzdem nicht. Ich meine, ein Kind will nicht nur gekriegt werden, sondern auch …« Er fuhr nicht fort.
Was hätte ich gemacht, wenn Klara das Kind hätte behalten wollen? Hatte sie sich die Frage gestellt? Und dahin gehend beantwortet, daß ich es nicht verkraften würde?
Er schüttelte wieder den Kopf. »Nein, da ist nichts gerecht. Was für eine wunderschöne Frau sie war. Der Mann … der Mann war sicher auch ein schöner Mann. Und jetzt schauen Sie mich an.« Er hielt mir sein Gesicht hin, als würde ich es noch nicht kennen. »Wenn Sie der Vater wären, ginge es noch. Aber so …«
Ich mußte lachen.
Er verstand nicht, warum. Er machte sich noch einen Cappuccino und nahm noch ein Stück Kuchen.
»Ich habe den Mannheimer Morgen gelesen. Ich muß sagen, eure Polizei macht es sich sehr leicht. Bei uns wäre das anders gelaufen. Aber vielleicht läuft es auch hier anders, wenn man der Polizei auf die Sprünge hilft.« Jetzt schaute er nicht mehr bekümmert, sondern herausfordernd wie bei unserer ersten Begegnung. Nahm er mir heute nichts übel, weil er sich obenauf fühlte?
Ich sagte nichts.
»Sie haben eigentlich nichts getan. Aber der andere, der von der Bank …« Er wartete, und als ich nichts sagte, tastete er sich weiter vor. »Ich meine, es war ihm offensichtlich lieber, der Polizei nicht zu sagen, daß er … Dann ist ihm wohl auch lieber, wenn kein anderer der Polizei sagt, daß …«
»Sie?«
»Sie brauchen das nicht so scharf zu sagen, als würde ich … Ich meine nur, er sollte nichts dem Zufall überlassen. Arbeiten Sie noch für ihn?«
Wollte er Welker erpressen? »Sind Sie so schlecht dran?«
»Ich …«
»Sie sollten wieder dorthin, wo Sie herkommen. Auch dort wird das Sicherheitsgewerbe florieren, wie überall, auch dort werden Betriebe Vertreter und Versicherungen Agenten suchen, die ihre Pappenheimer kennen. Hier gibt’s für Sie nichts zu gewinnen. Ihr Wort gegen unser Wort – was soll das!«
»Mein Wort? Was sage ich denn? Ich habe nur mal gefragt. Ich meine …« Nach einer Weile sagte er leise: »Ich hab’s bei der Schutz- und Wachgesellschaft versucht und als Versicherungsagent und als Tierpfleger. So einfach ist das
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