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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Ich meine, Ideen habe ich schon. Aber Sie haben gesehen, wie ärgerlich ich werden kann, und wenn ich wütend werde, mache ich die törichtesten Sachen. Wollen Sie nicht jemanden fragen, der … der besser ist? Wollen Sie nicht selbst …«
    Am nächsten Morgen fand ich sie im Nachthemd in der Küche. Sie hatte das meiste Geld in kleinen Bündeln auf dem Tisch verteilt und zählte den Rest mit beispielloser Fingerfertigkeit. »Ja«, lachte sie, als sie meinen erstaunten Blick sah, »wir haben das Geldzählen noch richtig geübt, und wer am schnellsten zählte, wurde Aktivist.«
    »Sie machen es?«
    »Es sind fast hunderttausend Mark. Ich werde Ihnen über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen.«
    Sie reichte mir ein kleines, graues Büchlein. »Ich habe es zwischen dem Geld gefunden.« Es war ein Reisepaß des Deutschen Reichs. Ich schlug ihn auf und fand Bild und Eintrag für Ursula Sara Brock, geboren am 10. Oktober 1911. Über den Eintrag war ein verschnörkeltes J gestempelt. Mit dem Geld hatte Schuler mir ein Vermächtnis hinterlassen, das ich verstand. Dieses Vermächtnis ließ mich ratlos. Ich blätterte den Reisepaß durch, wendete ihn hin und her und steckte ihn ein.
    Zurück nahm ich die Autobahn. Ich wollte im Strom der Autos mitschwimmen, nicht aufpassen müssen und nicht abgelenkt werden, wollte nachdenken.
    Wer war Ursula Brock? Wenn sie noch lebte, war sie eine alte Dame, die Schuler wohl kaum zu Tode erschreckt hatte. Daß Samarin oder seine Leute ihn zu Tode erschreckt hatten … Zu allen anderen Fragen kam die Frage, warum sie ihm dann nicht gleich das Geld abgenommen hatten. Daß Welker, der erst später Geld wusch, wenn er es denn wusch … Nein, selbst wenn ich beweisen könnte, daß Welker heute Geld wusch, würde es keinen rechten Sinn machen, wenn er Schuler damals einen tödlichen Schrecken eingejagt hätte. Oder wußte er schon, daß er Samarin als Geldwäscher beerben würde, und fürchtete Schulers unersättliche, erfolgreiche Neugier?
    Ich fuhr auf der rechten Spur, zwischen Lastwagen, alten Ehepaaren in alten Ford oder Opel, Polen in knatternden, rauchenden Wracks und unverdrossenen Kommunisten in pastellfarbenen Trabis. Manchmal, wenn ein Auspuff vor mir zu sehr stank, wechselte ich auf die linke Spur und zog an Lastwagen, Polen und Kommunisten vorbei, bis ich ein altes Ehepaar fand, hinter dem ich mich wieder einreihte. Einmal thronte auf der Ablage ein Hund aus Plastik und ließ seinen Kopf hin und her und auf und ab schwingen, voll Tiefsinn und Trauer.
    Ein dunkler Saab auf dem Schwetzinger Schloßplatz und die Ersetzung von Vera Soboda durch Karl-Heinz Ulbrich – letztlich war das so wenig, daß ich mich fragte, ob ich etwas gegen Welker hatte. Neidete ich ihm seinen Reichtum, seine Bank, sein Haus, seine Kinder? Die Mühelosigkeit, mit der er alles erreicht hatte und erreichte? Die Leichtigkeit, mit der er durchs Leben ging? Die Fähigkeit, sich von dem Schlechten, das ihm geschah und das er tat, nicht berühren zu lassen? Gibt es eine Mißgunst des Alters gegenüber der Jugend? Der Schuldigen gegenüber den Unschuldigen? Der Kriegs- und Nachkriegs- gegenüber der Wirtschaftswundergeneration? Fraß an mir, daß er Samarin erschossen und Nägelsbach gefährdet hatte, ohne damit ein Problem zu haben? Daß ich mich nicht auch so unschuldig, unbeteiligt fühlte?
    Ich übernachtete in Nürnberg. Am nächsten Morgen fuhr ich früh los und war um elf in Schwetzingen. Ich saß bis sieben zuerst im einen und dann im anderen Café und behielt die Bank im Blick. Ein paar Autos, ein paar Kunden zu Fuß, ein paar Angestellte, die sich über Mittag auf eine Bank auf den Platz setzten und um halb sechs vor dem Tor verabschiedeten – das war alles.
    Als ich am Abend im Büro saß, rief Brigitte mich an und fragte, ob meine Reise erfolgreich war. Dann fragte sie weiter: »Heißt das, daß dein Fall zu Ende ist?«
    »Fast.«
    Während ich notierte, was ich wußte und nicht wußte, was es noch zu machen und was es noch zu hoffen gab, klopfte es. Es war Georg.
    »Ich kam gerade vorbei und sah dich am Schreibtisch. Hast du kurz Zeit?« Er war Fahrrad gefahren und putzte die Brillengläser sauber. Dann setzte er sich mir gegenüber in den Lichtkegel der Schreibtischlampe. Er sah die halbvolle Weinflasche. »Du trinkst zuviel, Onkel Gerd.« Ich schenkte mir noch mal ein und machte ihm Tee.
    »Es muß Akten geben, Akten beim Amt für Wiedergutmachung. Der Sohn des Neffen, der nach London emigriert und dort

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