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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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nicht entschlossen und drohend. Wie hatte ich vergessen können, was für ein sensibles Kerlchen Ulbrich war. Ich versuchte, so zu Ende zu lachen, daß er sich an- und nicht ausgelacht fühlte. Aber es war zu spät, und er sah mich an, als hätte ich ihn wieder gekränkt. »Herr Selb, das Lachen wird Ihnen noch vergehen. Sie sind widerrechtlich eingedrungen.«
    Ich nickte. »Ja, Herr Ulbrich. Ich bin’s. Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Ich habe Ihr Auto in der Nebenstraße gesehen. Wo sollten Sie sein, wenn nicht bei uns?«
    »Daß jemand in Cottbus mein Auto erkennt … Aber vielleicht hätte ich darauf kommen können, daß Welker Sie als neuen Chef hierherschicken würde.«
    »Wollen Sie damit andeuten … wollen Sie andeuten, daß ich … Herr Selb, Ihre Andeutung, daß ich Herrn Direktor Welker erpreßt habe, ist eine Unverschämtheit, gegen die ich mich in aller Form verwahre. Herr Direktor Welker hat erkannt, was Sie nicht erkannt haben, und ist froh, daß er sich meiner Dienste bedienen kann. Er ist froh, verstehen Sie?«
    Ich stieg aus dem Schrank, und meine ungelenk gewordenen Beine stießen Putzmittel, Eimer, Schrubber und Besen um. Ulbrich sah mich vorwurfsvoll an. Warum bekam ich bei ihm früher oder später immer ein schlechtes Gewissen? Ich war nicht sein Vater. Ich konnte nicht als sein Vater versagt haben. Ich war nicht sein Onkel, nicht sein Vetter, nicht sein Bruder. »Ich verstehe. Sie erpressen ihn nicht. Er ist froh, daß Sie für ihn arbeiten. Ich möchte jetzt gehen.«
    »Sie sind widerrechtlich …«
    »Das hatten wir schon. Welker will keinen Ärger in seiner Bank. Ich und die Polizei – das wäre Ärger. Vermutlich will er nicht einmal wissen, daß ich ein paar Stunden in seiner Bank verbracht habe, in der Nachbarschaft von Besen und Eimer. Vergessen Sie das widerrechtliche Eindringen einfach. Vergessen Sie’s, und lassen Sie mich raus.«
    Er schüttelte den Kopf, drehte sich aber um und ging aus der Teeküche. Ich folgte ihm zum Seiteneingang. Er schloß auf und ließ mich raus. Ich sah die Straße hinauf und hinunter und hörte, wie hinter mir die Tür ins Schloß fiel und der Schlüssel zweimal umgedreht wurde.
    Die Nebenstraße war leer. Ich wollte zum Altmarkt, verwechselte aber die Richtung und kam an eine breite Straße, die ich nicht kannte. Auch hier war niemand unterwegs. Der Abend war lau und lud zum Spazieren ein, zum Draußensitzen, zum Schwatz bei Wein oder Bier, zum Flirten und Schmusen, aber danach schien den Cottbussern der Sinn nicht zu stehen. Dann fand ich um eine Ecke einen türkischen Imbiß, vor dem ein Tisch und zwei Stühle auf dem Bürgersteig standen, bestellte ein Bier und gefüllte Weinblätter und setzte mich.
    Auf der anderen Straßenseite machten zwei Jungen an ihren Mopeds herum und ließen ab und zu die Motoren heulen. Nach einer Weile fuhren sie los, drehten eine Runde um den Block, noch eine und noch eine. Dann hielten sie wieder auf der anderen Straßenseite, ließen die Motoren laufen, ab und zu heulen und drehten nach einer Weile wieder ihre Runden. So ging es fort und fort. Die Jungen sahen ordentlich aus, und was sie einander zuriefen, war harmlos. Trotzdem hing das Motorengeräusch so aggressiv in der Luft wie das Geräusch des Bohrers beim Zahnarzt. Ehe es im Zahn schmerzt, schmerzt es im Gehirn.
    »Sie sind nicht von hier.« Der Inhaber des Imbiß stellte Teller, Glas und Flasche vor mich hin.
    Ich nickte. »Wie lebt sich’s hier?«
    »Sie hören es. Es ist immer was los.«
    Ehe ich ihn fragen konnte, was außer den Jungen mit den Mopeds noch los sei, ging er rein. Ich aß die gefüllten Weinblätter mit den Fingern. Besteck gab’s nicht. Dann schenkte ich mir ein.
    Ich glaubte nicht, daß Ulbrich Welker erpreßte. Eher hatte Welker, nachdem ich ihn gewarnt hatte, Ulbrich angerufen, eingeladen und angestellt. Es war nicht schwer, Ulbrich anzusehen, daß ihm eine Anstellung mehr wert war als alles, was er vielleicht erpressen konnte.
    War Welker egal, daß an die Stelle der tüchtigen Vera Soboda der ahnungslose Karl-Heinz Ulbrich trat? War es ihm gerade recht? Hatte sie ihm zu viel Ahnung? Aber woher wußte er, wieviel Ahnung sie hatte? Hatte das Protokoll-File ihre Eskapaden im System registriert? Wenn er es aber wußte und sie mit Bedacht durch den ahnungslosen Ulbrich ersetzt hatte, um weiter Geld zu waschen – was lehrte es mich über Schulers Tod?

6
Drecksarbeit
    Kaum hatte Vera Soboda mich begrüßt, klingelte es.
    »Sie dachten, Sie

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