Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
dass die heute so beliebte Diskontierung von Problemlösungen jemals funktioniert – also: noch ordentlich CO 2 emittieren, weil die Wissenschaft ja schon intensiv an Techniken der Abscheidung und Lagerung arbeitet. Oder besser noch: am Geo-Engineering. Das alles ist gar kein Argument gegen das Suchen nach besseren technischen Lösungen für Energieprobleme, nach nachhaltigeren Strategien in der Landwirtschaft oder intelligenterer Mobilität – aber jede Technik ist nur so gut oder schlecht wie die Kultur, die sie zur Anwendung bringt. Solange diese Kultur expansiv ist, so lange wird jeder Technikeinsatz in ihr zur Expansion führen; wenn sie einem reduktiven Paradigma folgen würde, würde auch ihr Technikeinsatz anders aussehen.
Noch ein Argument dazu? Im Augenblick wird Nachhaltigkeit oft umstandslos mit Effizienz zusammengedacht, obwohl beides miteinander nichts zu tun hat. Die Voraussetzung für einen nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen ist ihr sozialer Gebrauch, nicht die physikalisch mögliche Effizienz ihrer Nutzung. Je mehr Material oder Energie in einer expansiven Kultur verfügbar ist, desto mehr wird konsumiert – umgekehrt wird desto mehr Material und Energie genutzt, je effizienter sie generiert werden. Ökonomen nennen das den »Rebound-Effekt«. Effizienzsteigerung gehört zum Industriekapitalismus wie Kapital und Arbeitskraft, sie ist eine Bedingung seines Funktionierens. So gesehen, ist auch das vielgepriesene »Grüne Wachstum« nur mehr vom Gleichen: Wirtschaftswachstum durch Steigerung von Effizienz, ganz was Neues.
Eine Kultur, die nicht dem expansiven, sondern einem reduktiven Paradigma folgen würde, wäre an Effizienzsteigerung gar nicht interessiert: Sie würde nämlich darüber befinden, was sie für ihre Vorstellung von gutem Leben braucht, und danach ihren Mitteleinsatz bestimmen. Es könnte sogar sein, dass Ineffizienz für sie einen Wert darstellt – »sinnlos« Zeit verbrauchen oder gehen statt gefahren werden zum Beispiel.
Das enorm große Technikvertrauen muss bei einer Bewegung verwundern, die sich ja gerade im Widerstand gegen unerwünschte Technikfolgen gebildet hat. Aus meiner Sicht ist das auch darauf zurückzuführen, dass in der Ökobewegung spätestens in den 1980er Jahren ein endgültiger Paradigmenwechsel von der politischen und systemischen Kritik hin zum Anstoßen pragmatischer Problemlösungen stattgefunden hat. Bei einer solchen Wendung liegt eine zunehmende Orientierung an Optionen der Machbarkeit nahe, und deshalb sind in den letzten drei Jahrzehnten auch jede Menge Vorschläge zu verzeichnen, wie die gesellschaftliche Praxis durch technische und eben nicht durch soziale Innovationen zu verbessern sei: Elektroautos, Windkraftanlagen, Blockheizkraftwerke, Plus-Energiehäuser usw. Vieles davon ist gut und notwendig – aber die Frage bleibt, in welche Verhältnisse und Zielvorstellungen hinein optimiert wird, wenn man die bessere Technik bereitstellt, womit wir wieder bei der Effizienz und den Rebounds wären.
Allerdings soll nicht unterschlagen werden, dass aus der Ökobewegung heraus auch wichtige soziale Innovationen entstanden sind: So wird hier das Carsharing erfunden; die angeblich so innovative Automobilindustrie braucht danach noch drei Jahrzehnte, um dessen Bedeutung für eine künftige Mobilitätskultur zu erkennen. Ökologischer Landbau, Solar-Genossenschaften, Mehrgenerationenhäuser sind soziale Innovationen, die nach längeren Inkubationszeiten mainstreamfähig wurden und die Gesellschaft modernisierten. Aber leider betrifft die Geschichtslosigkeit der Ökobewegung auch ihre Eigengeschichte. Heute richtet sich ihr Fokus mehr denn je auf technologische Innovation und Steuerung, was unter anderem auch auf die wachsende Konzentration auf die Klimaproblematik und damit auf die Energiefrage zurückzuführen ist: Hier scheint die verheißungsvolle Vorstellung am ehesten umsetzbar, erneuerbar zu werden und expansiv zu bleiben.
Warum ist der Klimawandel eigentlich so toll?
»Der Meeresspiegel könnte bis zum Jahr 2300 um vier Meter steigen, selbst wenn die Politiker im frühen 21. Jahrhundert alles richtig machen. Das Anschwellen der Ozeane lasse sich nicht so schnell bremsen wie der Anstieg der Lufttemperatur, erklärt eine Gruppe von Klimaforschern, die mit Hilfe ihrer Computer fast 200 Jahre in die Zukunft geschaut haben. Die Höhe der Weltmeere reagiere mit 50 Jahren Verzögerung auf Maßnahmen eines möglichen Klimaschutzes […]. [Der
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