Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
Verschmutzungszertifikate kaufen muss oder sogar welche verkaufen kann, wird die Veränderung individueller Verhaltensweisen konterkariert: Der sorgsamere Umgang mit Ressourcen führt zu besseren wirtschaftlichen Chancen des Anbieters, die Emissionsmenge selbst bleibt aber gleich. Dazu war Betrug im Emissionshandel so erwartbar wie bei jeder anderen Wirtschaftstätigkeit und blieb auch nicht lange aus: Überall, wo monetäre Lösungen gewählt werden, entsteht sekundäre Anpassung: Leute beuten das System für ihre Interessen aus. [80]
In einer expansiven Wirtschaftskultur, deren Bestreben es ist, alles und jedes zu ökonomisieren, liegt es nahe, sogar noch Emissionen mit einem Preis zu versehen und marktförmig zu machen. Auf wundersame Weise entsteht hier die Kategorie des negativen Gutes, das aber handelbar ist wie jedes andere Gut auch. Damit sind Partikularinteressen Tür und Tor geöffnet. Sofort entsteht die Praxis, Regenwälder abzuholzen, um auf den freigewordenen Flächen Palmölmonokulturen anzulegen, die »nachhaltig« bewirtschaftet werden, wofür dann Verschmutzungsrechte in Anspruch genommen werden können. Auch hier erweist sich der Kapitalismus als grenzenlos geschmeidig: Hat etwas erst einmal einen Preis, lassen sich damit Geschäfte jeglicher Art treiben. Der Handel mit Emissionen hat ungefähr so viel mit dem Klima zu tun wie ein Finanzmarktderivat mit einem Glas Milch; er gilt gleichwohl als der Fortschritt in der internationalen Klimapolitik. Interessanterweise wurde die Ökonomisierung unabhängig von einer internationalen Koordination der Reduktion von Treibhausgasen des Klimaschutzes in Gang gesetzt. [81] So bleibt die handelbare Menge groß, und bevor überhaupt etwas gegen die Klimaerwärmung beschlossen ist, sind ihre Ursachen schon monetarisiert. Wenn man etwas kaufen, halten oder verkaufen kann, was vorher keinen Preis hatte, ist Eigentum entstanden, wo es zuvor keines gab. Man sollte das als Lehrstück nehmen, wenn die Monetarisierung von sogenannten Ökosystemdienstleistungen gefordert wird: Vergessen Sie nie zu fragen, wer Besitzrechte an dem jeweiligen Ökosystem besitzt oder beansprucht, dessen »Dienstleistungen« plötzlich Geld kosten sollen!
Viertens und letztens: Die Kommunikation des Themas ist, man lese nur das einleitende Zitat noch mal, abstrakt und unverständlich. CO 2 ist weder sicht- noch fühl-, noch riech-, noch schmeckbar. Seltsamerweise hat es aber ein Gewicht; das, was aus dem Auspuff eines Autos kommt, wiegt trotz seiner Unsichtbarkeit eine Menge, was kein Mensch versteht. Reduktionsfortschritte wirken sich dementsprechend auch nur unsichtbar aus. Sie stehen lediglich in Verkaufsprospekten für Autos.
Die so einfache wie gefährliche Tatsache, dass eine Wirtschaftsweise es in zwei Jahrhunderten (bei immerhin 200000 Jahren Menschheitsgeschichte) geschafft hat, substantiellen Einfluss auf das Erdsystem auszuüben, wird durch eine verwissenschaftlichte und bürokratisierte Sprache voller Akronyme und Kunstwörter (IPCC, CCS, CDM usw.) zu einem Komplex aufgeblasen, den niemand verstehen kann, der sich in den Details verliert. Man beachte die Parallelität zur Finanzmarktkrise, die auf die so einfache wie gefährliche Tatsache zurückgeht, dass private Akteure gegen Volkswirtschaften spekulieren und damit erfolgreich sind. Auch hier wird Komplexität suggeriert; die Akronyme heißen dann ESM, EFSF, EZB, die Plastikwörter »Troika«, »Krisengipfel«, »Eurorettung«, »europäisches Projekt« usw.
Aber gerade mit diesem letzten Punkt kommen wir auf eine Spur, wieso das alles in allem so abstrakte, ferne, unlösbare und ambivalente Thema »Klimawandel« solche Prominenz hat, in den Besorgnisumfragen ganz vorn rangiert und hinsichtlich der Neugründung von Instituten und Stiftungen sowie des Einwerbens von Forschungsgeldern so frappierend erfolgreich ist. Dass man nichts sehen kann, macht den Klimawandel im Unterschied zum Beispiel zu Müllverbrennungsanlagen, verschmutzten Gewässern oder zurückgehenden Gletschern so harmlos – Beunruhigendes drängt sich da gar nicht auf.
Tatsächlich tragen alle genannten Aspekte, die seinen hohen Aufmerksamkeitswert psychologisch unwahrscheinlich machen, dazu bei, ihn als ökologisches Problem attraktiver werden zu lassen als alle anderen Umweltprobleme. Weil die Kausalität zerdehnt ist, weil seine Komplexität so groß ist, weil er ein globales und kein lokales Problem darstellt, weil er scheinbar nur über den
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