Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
Markt und nicht über Verhaltensveränderung bekämpft werden kann und eben weil er so perfekt unsinnlich ist, schiebt er sich als Menschheitsproblem so weit nach vorn. Seine Botschaft ist: Schlimm, wir versuchen unser Bestes, aber leider kann man nichts machen. Psychoanalytisch würde man das als »Verschiebung« bezeichnen – man hat ein Problem, das zu beseitigen höchst unangenehm wäre, und konzentriert sich daher lieber auf ein anderes.
Alfred Hitchcock, Erfinder des McGuffin.
Cineastisch würde der Klimawandel die Rolle eines »McGuffin« übernehmen. Alfred Hitchcock hat diesen Begriff erfunden, um damit ein filmisches Element zu bezeichnen, das selbst nicht besonders von Interesse ist, das aber dazu dient, den Handlungsverlauf in Gang zu bringen oder in Gang zu halten. Die Bedeutung eines McGuffins liegt darin, dass er selbst irrelevant ist. In seinem Interview mit Francois Truffaut hat Hitchcock 1966 den Begriff »McGuffin« so definiert: »Es ist vielleicht ein schottischer Name, in einer Geschichte von zwei Männern im Zug. Der eine fragt: ›Was ist denn das für ein Paket da oben in der Gepäckablage?‹ Und der andere antwortet: ›Ach, das ist ein McGuffin‹. Also fragt der erste: ›Was ist denn ein McGuffin?‹ ›Ja‹, sagt der andere, ›das ist ein Gerät, mit dem man Löwen in den schottischen Highlands jagt.‹ Sagt der erste Mann: ›In den Highlands gibt es aber doch gar keine Löwen.‹ Und der andere antwortet: ›Na ja, dann ist das kein McGuffin.‹ Also, Sie sehen, ein McGuffin ist überhaupt nichts.« [82]
Genau in diesem Sinn bildet der Klimawandel das perfekt unlösbare Problem , um das sich ostentativ Besorgnisse, Forschungsanstrengungen und politische Übersprungshandlungen – wie etwa die Verpflichtung auf sogenannte Energiesparlampen – kristallisieren. Dieser McGuffin stört das Betriebssystem von Extraktion und Konsumismus nicht, sondern treibt mit Modernisierungsimpulsen wie Energiewende und »green economy« die Handlung voran. Worüber man hingen nicht sprechen mag: Die anderen, mindestens so gravierenden ökologischen Probleme – Rückgang der Biodiversität, Bodenverlust, Wassermangel, Überfischung usw. – haben alle einen direkten Bezug zum Extraktivismus. Wenn es um sie geht, kann man unmöglich die eigenen Ernährungs-, Mobilitäts- und Konsumgewohnheiten außen vor lassen – diese Themen haben unweigerlich eine reflexive Komponente. Dasselbe gilt für alle anderen Planetary Boundaries, die überschritten werden.
Während man in den reichen Gesellschaften mit ihrem enormen infrastrukturellen Vorsprüngen und geopolitischen Machtvorteilen immer noch an Waren aller Art kommt, wenn die Knappheiten zunehmen, beginnt man anderswo zu hungern, weil die Preise für Grundnahrungsmittel zu hoch geworden sind. Die globalen Warenströme verteilen Güter gerade unter Bedingungen von Knappheit an den Benachteiligten vorbei, weshalb die Folgen von Bodenzerstörung, Überfischung der Meere, Mangel an Trinkwasser soziale Ungleichheit vertiefen. Das expansive Kulturmodell des Kapitalismus hat immer Ungleichheit vorausgesetzt, und es gibt keinen Grund, weshalb sich das durch eine Verschärfung ökologischer Problemlagen ändern sollte. Die Furcht davor ist nicht zuletzt ein nachvollziehbarer Grund, wenn arme Länder die Zustimmung zu internationalen Klimaabkommen verweigern.
Dem Extraktivismus kann man nicht durch internationale Abkommen, schon gar nicht durch Geo-Engineering oder durch Eröffnen eines neuen Marktes beikommen: Er lässt sich nur durch Reduktion von Verbrauch bekämpfen. Da er eine soziale Praxis ist, kann er durch nichts ersetzt werden als durch eine andere soziale Praxis. Genau an diesem Punkt wird es politisch.
Zurück zum Politischen
Und nun die politische Lesart des Klimawandels. Der Umweltaktivist und Autor Bill McKibben hat unlängst in einem brillanten Artikel [83] beschrieben, womit man es im Fall des Klimawandels zu tun hat: nicht mit einem Problem ohne Täter und Verantwortliche, vor dem eine Weltgemeinschaft händeringend und tatenlos herumsteht, sondern mit einem radikalen Interessengegensatz, der sich sehr einfach formulieren lässt. Möchte man das sogenannte 2-Grad-Ziel erreichen, darf man weltweit bis zur Jahrhundertmitte nicht mehr als etwa 565 weitere Gigatonnen CO 2 in die Atmosphäre blasen. So sagt es übereinstimmend die Klimaforschung. Die gegenwärtig vorhandenen Lager für fossile Energien umfassen allerdings ein
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