Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
System hat historisch vergleichbar schnell soziale Verhältnisse verbessert und damit für viele zum ersten Mal ein Gefühl von Chancen und Freiheit gegeben.
Leider machen diese Wirtschaftswunder das Leben nur kurzfristig besser; mittelfristig, wie gesagt, unterminieren sie ihren eigenen Erfolg. Die Wahrheit ist nicht schön: Das ethisch wünschenswerte Ziel global auch nur annähernd egalitärer Wohlstandsniveaus steht in Widerspruch zu allen Nachhaltigkeitszielen. Ökologie und Wachstum schließen sich wechselseitig aus. Will man soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit im globalen Maßstab, hilft alles nichts: Dann muss man die Komfortzone verlassen, auf Wohlstand verzichten, abgeben, andere Modelle des Verteilens, Wirtschaftens und Lebens entwickeln. Was das politisch heißt, kann weder mit dem Kauf von »fair« gehandeltem Kaffee noch durch das rituelle Verlautbaren von Absichten (wie dem Einhalten des »2-Grad-Ziels«) beantwortet werden, sondern nur durch die ernsthafte und konfliktträchtige Auseinandersetzung darüber, was man für die Zukunft behalten und was man aufgeben möchte. Und gegen wen man das daran geknüpfte Interesse durchsetzen muss.
Die zivilisatorische Aufgabe
Im 21. Jahrhundert stehen wir vor der höchst konkreten Frage, wie man den durch die kapitalistische Wirtschaft erreichten zivilisatorischen Standard in Sachen Freiheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Bildungs- und Gesundheitsversorgung aufrechterhalten und zugleich die Ressourcenübernutzung radikal zurückfahren kann. Wenn man das ernsthaft will, geht das nicht ohne deutliche Wohlstandsverluste. Das gute Leben gibt es nicht umsonst.
Genau das aber wird durch die Übersprungshandlungen des Weltrettungskonferenzbetriebs und die Magie vom grünen Wachstum suggeriert: Die Zukunft wird sein wie jetzt, nur nachhaltiger. Deshalb kriegt man auch regelmäßig zu hören, man könne doch den nachrückenden Gesellschaften nicht den Lebensstandard verwehren, den man für sich selbst in Anspruch nähme, wenn man davon spricht, dass die Leitkultur des Verbrauchs und der Verschwendung, der die westlich geprägten Industrieländer frönen, zurückgeführt werden muss auf ein überlebensverträgliches Maß. Diese Argument ist ideologisch, weil es füglich davon absieht, wie riesengroß die Unterschiede in den Lebenslagen und natürlich im Ressourcenverbrauch weltweit sind und weil die immer wiederholte Behauptung, alle wollten so sein wie wir, nichts anderes ist als eine psychologisch leicht durchschaubare Legitimation unseres idiotischen Lebensstils: Wenn alle das nachmachen, muss es ja wohl richtig sein, auch wenn die Zukunft dabei draufgeht.
Die Rückgewinnung von Zukunftsfähigkeit setzt Intoleranz gegenüber der chronischen Verletzung des Menschenrechts auf künftiges Überleben voraus. Robert Menasse hat vor einigen Jahren geschrieben, dass »schon der Manchester-Kapitalismus nicht dadurch zivilisiert« wurde, »dass politische Entscheidungsträger die Kapitalisten submissest fragten, was diese denn benötigen würden, um konkurrenzfähig zu bleiben und den Standort ›Manchester‹ zu sichern, sondern im Gegenteil dadurch, dass die Politik dem Kapital Grenzen setzte und Schritt für Schritt vernünftigere Rahmenbedingungen gab. Hätte man die Kapitalisten gefragt, sie hätten ehrlich und glaubhaft und leider auch vernünftig (nach den Gesetzen ihrer Vernunft) versichert, dass ohne Kinderarbeit und ohne Zwölf-Stunden-Tag gar nichts ginge. Es bedurfte politischer Entscheidungen, und sie mussten gegen mächtige Widerstände getroffen werden – aber sie wurden getroffen: Kinderarbeit wurde verboten, der Acht-Stunden-Tag durchgesetzt.« [85] Weder die Abschaffung der Sklaverei noch die Erkämpfung der Bürgerrechte in den USA waren Ergebnisse herrschaftsfreier Kommunikation, sie wurden erkämpft. Genau an diesen Beispielen sieht man, dass Modernisierung immer das Resultat eines hart umstrittenen Abbaus von Privilegien ist. Das wird mit der Transformation von der expansiven zur reduktiven Moderne nicht anders sein. Oder sie wird nicht stattfinden.
Standortsicherung: Kinderarbeit.
Wir aber verzichten darauf, Privilegien der Ressourcennutzung so einzuschränken, wie es in der Geschichte der Moderne immer der Fall war. Die Politik tritt genau deswegen auf der Stelle, weil Privilegiensicherung zu ihrem einzigen Inhalt geworden ist. Man kann das als Diktatur der Gegenwart auf Kosten der Zukunft bezeichnen. Die Politik einer nachhaltigen
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