Selbst ist der Mensch
Gehirnareal gezielt und heftig mit einem Vorschlaghammer behandelt.
Alzheimer-Krankheit . Diese Krankheit, die ausschließlich bei Menschen vorkommt, ist eine der schlimmsten Gesundheitsstörungen unserer Zeit. Durch unsere Bemühungen, sie zu verstehen, hat sie aber auch eine positive Seite gewonnen: Die Alzheimer-Krankheit ist eine Quelle wertvoller Erkenntnisse über Geist, Verhalten und Gehirn. Welchen Beitrag sie zur Erforschung des Bewusstseins leistet, wird erst heute allmählich deutlich.
Seit den 1970er Jahren hatte ich die Gelegenheit, viele Patienten mit dieser Krankheit zu beobachten, und es war mir vergönnt, ihr Gehirn nach dem Tod sowohl makroskopisch als auch auf mikroskopischer Ebene zu untersuchen. Zu jener Zeit war ein Teil unseres Forschungsprogramms der Alzheimer-Krankheit gewidmet, und mein Kollege Gary W. Van Hoesen, mit dem ich eng zusammenarbeitete, war ein führender Experte für die Neuroanatomie des Alzheimer-Gehirns. Unser wichtigstes Ziel war damals die Klärung der Frage, wie Veränderungen der Schaltkreise im Gehirn zu den Gedächtnisstörungen führen können, die ein charakteristisches Symptom der Krankheit sind.
Die meisten Patienten mit der typischen Form der Alzheimer-Krankheit leiden im frühen oder mittleren Krankheitsstadium nicht unter Bewusstseinsstörungen. Die ersten Jahre sind durch fortschreitende Beeinträchtigungen beim Erlernen neuer Tatsacheninformationen und bei der Erinnerung an zuvor gelernte Tatsacheninformationen gekennzeichnet. Auch Störungen des Urteilsvermögens und der räumlichen Orientierung kommen häufig vor. Anfangs sind die Auswirkungen der Krankheit häufig so geringfügig, dass die gesellschaftlichen Umgangsformen erhalten bleiben und eine Zeit lang ein nahezu normales Leben möglich ist.
Anfang der 1980er Jahre stieß unsere Arbeitsgruppe, zu der damals auch Brad Hyman gehörte, auf einen plausiblen Grund für die Beeinträchtigungen des Tatsachengedächtnisses: umfangreiche neuropathologische Veränderungen in der entorhinalen Rinde und den benachbarten Feldern im vorderen Bereich der Schläfenlappen. 11 Diese hatten praktisch keine Verbindung mehr zum Hippocampus, jener Gehirnstruktur, die notwendig ist, damit Erinnerungen an Tatsachen an anderen Stellen im Gehirn festgehalten werden. Infolgedessen können keine neue Tatsachen mehr erlernt werden. Außerdem werden auch die vorderen Rindenfelder der Schläfenlappen im weiteren Verlauf der Krankheit so geschädigt, dass sie keinen Zugang zu früher erlernten Tatsacheninformationen mehr ermöglichen. Damit erodiert letztlich das Fundament des autobiografischen Gedächtnisses, und schließlich wird dieses ebenso ausgelöscht wie bei Patienten, deren Schläfenlappen durch eine Herpes-simplex-Enzephalitis zerstört wurde (diese Virusinfektion schädigt ebenfalls den vorderen Schläfenlappenbereich). Die Alzheimer-Krankheit zielt geradezu gespenstisch genau auf bestimmte Zellen. Die meisten oder sogar alle Neuronen der Schichten II und IV der entorhinalen Rinde verwandelten sich in Grabsteine – so die beste Beschreibung für das, was von den Neuronen noch übrig bleibt, nachdem die Krankheit sie in neurofibrilläre Knäuel verwandelt hat. Diese selektive Schädigung führte zu einem rasiermesserscharfen Schnitt durch die Nervenbahnen, die dem Hippocampus Input liefern und dabei die Schicht II als Relaisstation verwenden. Zu allem Unglück erzeugt die Krankheit außerdem einen ebenso scharfen Schnitt in den vom Hippocampus kommenden Output-Bahnen, die sich der Schicht IV bedienen. Da ist es kein Wunder, dass das Tatsachengedächtnis bei der Alzheimer-Krankheit zerstört wird.
Im weiteren Verlauf der Krankheit jedoch leidet neben anderen selektiven Störungen des Geistes auch das Bewusstsein. Wie nicht anders zu erwarten, beschränkt sich das Problem zunächst auf das autobiografische Bewusstsein. Da Erinnerungen an frühere persönliche Erlebnisse nicht mehr ordnungsgemäß abgerufen werden können, besteht keine zuverlässige Verbindung zwischen gegenwärtigen Ereignissen und der durchlebten Vergangenheit mehr. Das reflektierende Bewusstsein ist bei der absichtlichen, autarken Verarbeitung gestört. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind solche Störungen teilweise – allerdings vielleicht nicht vollständig – auf Funktionsstörungen im mittleren Teil der Schläfenlappen zurückzuführen.
Im weiteren Verlauf dieses unausweichlichen Weges gehen die Zerstörungen weit über autobiografische Prozesse
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