Selbst ist der Mensch
einer dieser Zustände auftritt, beobachtet man auch das zugehörige Elektroenzephalogramm. Während des Wachzustands sind die Augen der Patienten häufig geöffnet. Zweitens zeigen solche Patienten einige Bewegungen, und sie können auch mit Bewegungen reagieren. Sie sprechen aber nicht, und die Bewegungen haben nichts Gezieltes. Der vegetative Zustand kann in die Wiederkehr des Bewusstseins münden oder stabil bleiben – im zweiten Fall spricht man von einem persistierenden vegetativen Zustand. Dieser kann nicht nur nach Schäden im Tegmentum des Hirnstamms oder im Hypothalamus eintreten, wie sie für das Koma typisch sind, sondern auch durch Schäden im Thalamus und sogar durch dezentrale Schäden der Großhirnrinde oder der darunter liegenden weißen Gehirnsubstanz.
In welcher Beziehung stehen Koma und vegetativer Zustand zur Funktion der PMCs, wo doch die verursachenden Schäden an anderen Stellen lokalisiert sind? Diese Frage hat man mit funktionellen bildgebenden Verfahren untersucht, die auf die Frage abzielten, wie generalisiert oder begrenzt die Funktionsveränderungen im Gehirn von Patienten mit diesen Krankheiten sind. Dabei zeigen sich die üblichen Verdächtigen: Funktionseinschränkungen in Hirnstamm, Thalamus und PMCs, wobei man in den PMCs einen besonders ausgeprägten Rückgang des Glucosestoffwechsels beobachtet. 18
Man kann aber noch über einen weiteren bedeutsamen Befund berichten. Komapatienten sterben in der Regel irgendwann, oder ihr Zustand verbessert sich geringfügig und geht in einen persistierenden vegetativen Zustand über. Einige wenige haben jedoch mehr Glück: Sie tauchen allmählich aus ihrem Zustand eines zutiefst beeinträchtigten Bewusstseins wieder auf. Dabei spielen sich die deutlichsten Veränderungen des Gehirnstoffwechsels in den PMCs ab. 19 Dies legt die Vermutung nahe, dass das Aktivitätsniveau in diesem Bereich in enger Beziehung zum Bewusstseinsniveau steht. Angesichts der Tatsache, dass die PMCs einen so intensiven Stoffwechsel haben, könnte man versucht sein, diesen Befund als Folge einer allgemein stärkeren Gehirnaktivität abzutun. Demnach würden sich die PMCs schlicht wegen ihres starken Stoffwechsels als Erste erholen. Damit wäre aber nicht erklärt, warum gleichzeitig auch das Bewusstsein wiederkehrt.
Eine abschließende Bemerkung über pathologische Zustände des Bewusstseins
Pathologische Veränderungen haben wichtige Anhaltspunkte für die Umrisse einer Neuroanatomie des Bewusstseins geliefert und erlauben Vermutungen über verschiedene Aspekte der Mechanismen, die den Vermutungen zufolge für den Aufbau des Kern-Selbst und des autobiografischen Selbst verantwortlich sind. Vielleicht ist es hilfreich, zum Abschluss eine leicht verständliche Verbindung zwischen den Krankheiten des Menschen und den zuvor erläuterten Hypothesen herzustellen.
Lassen wir die Bewusstseinsänderungen, die auf natürliche Weise durch den Schlaf oder unter ärztlicher Kontrolle durch Narkosemittel entstehen, einmal beiseite: Dann sind die meisten Bewusstseinsstörungen die Folge dieser oder jener tiefgreifenden Funktionsstörung des Gehirns. In manchen Fällen sind die Ursachen chemischer Natur; dies gilt für Überdosen verschiedener Medikamente, darunter das zur Diabetestherapie verwendete Insulin, aber auch ein übermäßig hoher Blutzuckerspiegel bei unbehandeltem Diabetes. Solche Substanzen haben sowohl gezielte als auch allgemeine Wirkungen, aber bei sofortiger, geeigneter Behandlung lassen sich die Störungen rückgängig machen. Andererseits führen Strukturveränderungen, die durch Kopfverletzungen, Schlaganfälle oder verschiedene Verfallskrankheiten verursacht werden, häufig zu einer Form von Bewusstseinsstörungen, bei der eine vollständige Genesung unwahrscheinlich ist. Außerdem können Gehirnschäden in manchen Fällen auch zu Krampfanfällen führen, die mit gleichzeitig oder anschließend auftretenden Bewusstseinsveränderungen als herausragendem Symptom einhergehen.
Wenn durch Schäden des Hirnstamms das Koma oder der vegetative Zustand eingetreten ist, sind sowohl das Kern-Selbst als auch das autobiografische Selbst beeinträchtigt. Letztlich sind auch die wichtigsten Strukturen des Protoselbst entweder zerstört oder schwer geschädigt, und es entstehen weder ursprüngliche Gefühle noch »Gefühle für das, was geschieht«. Ein intakter Thalamus und eine intakte Großhirnrinde reichen nicht aus, um den Zusammenbruch des Kern-Selbst-Systems
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