Selbst ist der Mensch
ersten Blick auf die Netzwerke im lebenden menschlichen Gehirn. Die Methodik ist zwar noch alles andere als zufriedenstellend, sie verspricht aber faszinierende neue Erkenntnisse.
Wie schaffen es die Milliarden Neuronen und die Billionen Synapsen in einem menschlichen Gehirn, nicht nur die einzelnen Verhaltensäußerungen zu erzeugen, sondern auch einen Geist, der seinem Besitzer bewusst wird und Kulturen hervorbringen kann? Die Erklärung, dass so viele Neuronen und Synapsen diese Aufgabe durch massive Interaktivität und die daraus folgende Komplexität bewältigen, ist keine gute Antwort. Interaktivität und Komplexität müssen sicher vorhanden sein, sie sind aber keine unbestimmten Gebilde. Vielmehr gehen sie aus den vielgestaltigen lokalen Anordnungen der Schaltkreise und den noch vielfältigeren Wegen hervor, auf denen solche Schaltkreise verschiedene Regionen schaffen, die ihrerseits zu Systemen zusammengefasst werden. Der innere Aufbau einer solchen Region bestimmt über ihre Funktion. Ihre Lage in der Gesamtstruktur ist aber ebenfalls wichtig, denn ihre Position im großen Ganzen bestimmt über ihre Partner – über die Regionen, die mit ihr in Austausch treten. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass auch das Gegenteil stimmt: Bis zu einem gewissen Grade bestimmen die Interaktionspartner darüber, wo eine Region ihren Platz findet. Bevor wir uns aber weiter mit dem Thema beschäftigen, wollen wir kurz betrachten, aus welchen Bausteinen das Gehirn aufgebaut ist.
Steine und Mörtel
Das Gehirn, das den Geist hervorbringt, besteht aus Nervengewebe, und das wiederum besteht wie alle anderen lebenden Gewebe aus Zellen. Der Haupttyp der Gehirnzellen sind die Neuronen, und aus Gründen, die ich in den Kapiteln 1, 2 und 3 erläutert habe, ist das Neuron ein charakteristischer Zelltyp im Universum der Biologie. Eingebettet – oder besser sollte man vielleicht sagen: aufgehängt – sind die Neuronen und ihre Axone in einem Gerüst, das aus Gehirnzellen eines anderen Typs besteht, den Gliazellen. Sie dienen den Neuronen nicht nur als mechanische Stütze, sondern sie liefern ihnen auch einen Teil der Nährstoffe, die sie benötigen. Neuronen können ohne Gliazellen nicht überleben, aber alles deutet darauf hin, dass die Neuronen, was Verhalten und Geist angeht, die entscheidenden Gehirnbausteine sind.
Wenn Neuronen auf dem Weg über die Axone ihre Nachrichten an die Muskelfasern schicken, erzeugen sie Bewegungen; sind sie innerhalb der höchst komplexen Netzwerke der kartenerzeugenden Regionen aktiv, entstehen Bilder, das wichtigste Mittel der geistigen Aktivität. Die Gliazellen tun nach unserer heutigen Kenntnis nichts Derartiges, ihr Beitrag zur Tätigkeit der Neuronen ist aber noch nicht vollständig aufgeklärt. Die Schattenseite der Gliazellen: Aus ihnen gehen die gefährlichsten Gehirntumore hervor, die Gliome, deren Heilung bisher nicht möglich ist. Und es kommt noch schlimmer: Aus völlig ungeklärten Gründen steigt die Häufigkeit der bösartigen Gliome im Gegensatz zu der praktisch aller anderen Krebserkrankungen weltweit an. Der zweithäufigste Ausgangspunkt für Gehirntumore sind die Zellen der Meningen oder Hirnhäute, jener hautähnlichen Membranen, die das Gehirngewebe einhüllen. Meningiome sind in der Regel gutartig, durch ihre Lage und ihr ungebremstes Wachstum können sie aber die Gehirnfunktion ernsthaft beeinträchtigen, und damit sind auch sie alles andere als harmlos.
Ein einzelnes Neuron besteht aus drei anatomischen Hauptelementen: erstens dem Zellkörper , der das Kraftwerk der Zelle darstellt und den Zellkern sowie Organellen wie die Mitochondrien enthält (das Genom des Neurons, seine Ausstattung mit lenkenden Genen, liegt im Zellkern, DNA findet sich aber auch in den Mitochondrien), zweitens dem Axon , der wichtigsten nach außen führenden Faser, die vom Zellkörper ausgeht, und drittens den Dendriten , Fasern, die Signale zum Zellkörper leiten und ein wenig wie Geweihe aussehen. Untereinander verknüpft sind die Neuronen über Grenzbereiche, die als Synapsen bezeichnet werden. In den meisten Synapsen steht das Axon eines Neurons chemisch mit den Dendriten eines anderen in Verbindung.
Ein Neuron kann aktiv oder inaktiv sein: Es »feuert« oder »feuert nicht«, ist »eingeschaltet« oder »ausgeschaltet«. Das »Feuern« besteht darin, dass ein elektrochemisches Signal erzeugt wird, das über die Abgrenzung der Synapsen zu einem anderen Neuron fließt und
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