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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Vergangenheit und eine vorausgesehene Zukunft, wobei es ständig zwischen dem vergangenen Gestern und einem Morgen, das nichts anderes ist als eine Reihe von Möglichkeiten, hin und her gestoßen wird. Die Zukunft zieht uns vorwärts, weg von einem fernen, verschwindenden Punkt, und verleiht uns den Willen, die Reise in der Gegenwart fortzusetzen. Das meinte T. S. Eliot vermutlich, als er schrieb: 17
    Vergangene Zeit und künftige Zeit,
Was hätte sein können und was gewesen ist
Weisen auf ein Ende, das stets gegenwärtig ist.
     

Anhang

Der Aufbau des Gehirns
     
    Betrachtet man eine dreidimensionale Darstellung des menschlichen Gehirns, so erkennt man sofort und mit bloßem Auge einen bestimmten Aufbau. Das Prinzip ist bei allen Gehirnen ähnlich, das heißt, bestimmte Bestandteile liegen in jedem Gehirn an der gleichen Stelle. Zwischen ihnen besteht eine ähnliche Beziehung wie zwischen den Bestandteilen unseres Gesichts – Augen, Mund, Nase. In Form und Größe sind sie bei jedem Menschen ein wenig unterschiedlich, das Spektrum der Schwankungen ist aber begrenzt. Es gibt kein Gesicht mit quadratischen Augen, die Augen sind nie größer als Nase oder Mund, und im Großen und Ganzen wird die Symmetrie eingehalten. Vergleichbare Beschränkungen gelten auch für die Lage der Elemente im Gehirn. Wie unsere Gesichter, so sind sich auch die Gehirne im Hinblick auf die grammatikalischen Regeln, nach denen die Teile räumlich angeordnet sind, sehr ähnlich. Und doch ist ein Gehirn etwas sehr Individuelles. Jedes Gehirn ist einzigartig.
    Einen anderen Strukturaspekt jedoch, der für die in diesem Buch dargelegten Gedanken von großer Bedeutung ist, erkennt man nicht mit bloßem Auge. Unter der Gehirnoberfläche liegt ein ungeheuer umfangreiches Kabelgewirr aus Axonen , den Fasern, welche die Neuronen verbinden. Im Gehirn gibt es viele Milliarden (ungefähr 10 11 ) Neuronen, und zwischen den Neuronen bestehen Billionen (rund 10 15 ) Verbindungen. Diese Verbindungen werden jedoch nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten geknüpft, und nicht jedes Neuron kann sich mit jedem anderen verbinden. Im Gegenteil: Die Verflechtung ist äußerst selektiv. Von Weitem betrachtet, folgt sie einem Schaltplan oder – je nach dem Gehirnabschnitt – vielen Schaltplänen.
    Die Aufklärung dieser Schaltpläne ist ein Weg, um die Tätigkeit des Gehirns aufzuklären. Einfach ist das aber nicht: Die Schaltpläne machen während der Entwicklung und auch noch später beträchtliche Veränderungen durch. Wir werden mit einem bestimmten Verknüpfungsmuster geboren, das nach den Anweisungen unserer Gene angelegt wird. Diese Verknüpfungen werden bereits im Mutterleib von mehreren Umweltfaktoren beeinflusst. Nach der Geburt wirken die individuellen Erfahrungen in der persönlichen Umgebung auf das erste Verknüpfungsmuster ein, beseitigen manche Verbindungen, stärken die einen und schwächen die anderen, machen die Kabel des Netzwerks unter dem Einfluss unserer eigenen Tätigkeiten dicker oder dünner. Lernen und Erinnerungsbildung sind nichts anderes als die Verfeinerung, Modellierung, Prägung, Konstruktion und Neukonstruktion unserer individuellen Gehirnschaltpläne. Der Prozess, der bei der Geburt begonnen hat, setzt sich fort, bis wir aus dem Leben scheiden oder bis er einige Zeit zuvor durch die Alzheimer-Krankheit unterbrochen wird.
    Wie klärt man die Konstruktion der Schaltpläne auf? Bis vor sehr kurzer Zeit war die Forschung auf diesem Gebiet auf Gewebeproben aus dem Gehirn angewiesen. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um Autopsiematerial von Menschen oder Versuchstieren. Die Gewebeproben wurden fixiert, mit Farbstoffen behandelt und dann in Form von Dünnschnitten unter dem Mikroskop analysiert. Solche Untersuchungen haben in der experimentellen Neuroanatomie eine altehrwürdige Tradition, und ihnen verdanken wir den größten Teil unserer heutigen Kenntnisse über die Netzwerkbildung im Gehirn. Unsere neuroanatomischen Kenntnisse sind aber nach wie vor auf peinliche Weise unvollständig, und deshalb besteht ein dringender Bedarf an weiteren derartigen Studien, wobei man sich des ungeheuren Fortschritts bei der Entwicklung von Farbstoffen und der Leistungsfähigkeit moderner Mikroskope bedienen kann.
    In jüngster Zeit haben sich aber mit der Entwicklung der Magnetresonanztomographie ganz neue Möglichkeiten zur Untersuchung lebender Menschen eröffnet. Nichtinvasive Verfahren wie die Diffusionsbildgebung ermöglichen uns einen

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