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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Gefühl in ihrem Wesen unterscheiden. Natürlich ist an den Begriffen Emotion und Gefühl zunächst nichts Falsches, und sie eignen sich im Englischen ebenso wie in den vielen Sprachen, in denen es eine direkte Übersetzung gibt, gut für unseren Zweck. Definieren wir also zunächst einmal die beiden Schlüsselbegriffe vor dem Hintergrund der modernen Neurobiologie.
    Emotionen sind komplexe, größtenteils automatisch ablaufende, von der Evolution gestaltete Programme für Handlungen . Ergänzt werden diese Handlungen durch ein kognitives Programm, zu dem bestimmte Gedanken und Kognitionsformen gehören; die Welt der Emotionen besteht aber vorwiegend aus Vorgängen, die in unserem Körper ablaufen, von Gesichtsausdruck und Körperhaltung bis zu Veränderungen in inneren Organen und innerem Milieu.
    Gefühle von Emotionen dagegen sind zusammengesetzte Wahrnehmungen dessen, was in unserem Körper und unserem Geist abläuft, wenn wir Emotionen haben. Was den Körper betrifft, so sind Gefühle nicht die Abläufe selbst, sondern Bilder von Abläufen; die Welt der Gefühle ist eine Welt der Wahrnehmungen, die in den Gehirnkarten ausgedrückt werden. Hier gilt es allerdings eine Einschränkung zu machen: Die Wahrnehmungen, die wir als Gefühle von Emotionen bezeichnen, enthalten eine besondere Zutat, die den zuvor erwähnten ursprünglichen Gefühlen entspricht. Diese Gefühle gründen sich auf eine einzigartige Beziehung zwischen Körper und Gehirn, die der Interozeption eine bevorzugte Stellung einräumt. In den emotionalen Gefühlen sind natürlich auch andere Aspekte des Körpers repräsentiert, aber die Interozeption beherrscht den Prozess und ist für das verantwortlich, was wir als den gefühlten Aspekt dieser Wahrnehmungen bezeichnen.
    Damit ist die allgemeine Unterscheidung zwischen Emotion und Gefühl einigermaßen klar. Während es sich bei Emotionen um Abläufe handelt, die von Ideen und Denkweisen begleitet sind, handelt es sich bei emotionalen Gefühlen meist um Wahrnehmungen dessen, was unser Körper während des Ablaufs der Emotionen tut, und hinzu kommen Wahrnehmungen unseres Geisteszustands während der gleichen Zeit. Bei einfachen Lebewesen, die zu Verhalten in der Lage sind, ohne aber über geistige Prozesse zu verfügen, können Emotionen sehr lebhaft und gut ausgeprägt sein, aber aus ihnen folgen nicht zwangsläufig emotionale Gefühle.
     
    Emotionen treten auf, wenn im Gehirn verarbeitete Bilder emotionsauslösende Regionen anregen, beispielsweise die Amygdala oder besondere Abschnitte der Stirnlappen. Sobald eine dieser Auslöseregionen aktiviert wird, scheiden endokrine Drüsen und subkortikale Gehirnkerne chemische Substanzen (bei Angst beispielsweise Cortisol) aus, die sowohl ins Gehirn als auch in den Körper gelangen. Darüber hinaus werden bestimmte Handlungen eingeleitet (zum Beispiel, wiederum im Fall der Angst, Flüchten oder Stehenbleiben sowie Kontraktionen des Darms) und bestimmte Ausdrucksweisen (beispielsweise von Angst geprägte Gesichtsausdrücke oder Körperhaltungen) gezeigt. Zumindest für den Menschen gilt, dass auch bestimmte Gedanken und Pläne im Geist auftauchen. Ein negatives Gefühl wie Trauer führt zum Beispiel dazu, dass man sich an negative Tatsachen erinnert; bei positiven Emotionen ist es umgekehrt. Auch die in unserem Gehirn abgebildeten Handlungspläne stehen im Einklang mit dem Gesamtsignal der Emotion. Mit Entstehung einer Emotion werden sofort bestimmte Formen der geistigen Verarbeitung in Gang gesetzt. Trauer verlangsamt das Denken und kann dazu führen, dass man in der Situation, von der sie ausgelöst wurde, verharrt; Freude kann das Denken beschleunigen und die Aufmerksamkeit für Ereignisse, die nichts damit zu tun haben, verringern. Die Gesamtheit all dieser Reaktionen stellt den »emotionalen Zustand« dar, der sich recht schnell entfaltet und dann wieder nachlässt, bis neue Reize, die ebenfalls Emotionen verursachen können, im Geist hinzukommen und eine erneute emotionale Kettenreaktion anstoßen.
    Den nächsten Schritt bilden die Gefühle der Emotion. Sie folgen der Emotion selbst auf dem Fuße und sind die legitime, konsequente, letzte Hervorbringung des emotionalen Prozesses: die zusammengesetzte Wahrnehmung all dessen – Handlungen, Gedanken, die Art des Gedankenflusses – , was während der Emotion langsam oder schnell abgelaufen ist, bei einem Bild hängenbleibt oder schnell ein Bild gegen das andere eintauscht.
    Aus Sicht der Neuronen beginnt

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