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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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der Zyklus des Fühlens von Emotionen im Gehirn mit der Wahrnehmung und Einschätzung eines Reizes, der potenziell eine Emotion hervorrufen kann, und dem anschließenden Auslösen der Emotion. Der Vorgang breitet sich dann an anderen Stellen des Gehirns und im übrigen Körper aus und baut den emotionalen Zustand auf. Am Ende kehrt der Prozess zu dem Teil des Kreislaufs, der dem Fühlen entspricht, ins Gehirn zurück, allerdings in andere Regionen als die, von denen er ursprünglich ausgegangen war.
    Emotionsprogramme beinhalten alle Bestandteile des Lebenssteuerungsapparats, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben: Sinneswahrnehmung und Erkennen von Umweltbedingungen, das Erfassen des Ausmaßes eines inneren Bedürfnisses, den Anreizprozess mit den Aspekten Belohnung und Bestrafung sowie die Hilfsmittel zur Vorhersage. Triebe und Motive gehören zu den einfacheren Bestandteilen der Emotionen. Das ist der Grund, warum sich bei Glück oder Trauer der Zustand unserer Triebe und Motive verändert, warum sich die Mischung aus Wünschen und Bestrebungen sofort wandelt.

Der Ablauf von Emotionen
     
    Wie werden Emotionen ausgelöst? Ganz einfach: durch Bilder von Objekten oder Ereignissen, die sich in diesem Augenblick abspielen oder die sich in der Vergangenheit abgespielt haben und nun erinnert werden. Für den emotionalen Apparat ist es von großer Bedeutung, in welcher Situation man sich befindet. Vielleicht durchleben wir gerade eine reale Szene und reagieren auf eine Musikaufführung oder auf die Gegenwart eines Freundes; oder aber wir sind allein und erinnern uns an ein Gespräch, über das wir uns gestern geärgert haben. Ob die Bilder »live« sind, aus dem Gedächtnis rekonstruiert oder aus dem Nichts in der Fantasie erschaffen werden, sie setzen eine Kette von Ereignissen in Gang. Signale aus den verarbeiteten Bildern werden verschiedenen Gehirnregionen zugänglich gemacht. Manche dieser Regionen wirken an der Sprache mit, andere an Bewegungen, wieder andere an Vorgängen, die das vernünftige Denken ausmachen. Aktivität in einer dieser Regionen führt zu verschiedenen Reaktionen: etwa zu Worten, mit denen man einen Gegenstand benennt, oder zum schnellen Abruf anderer Bilder, mit deren Hilfe wir Rückschlüsse über ein Objekt ziehen können und so weiter. Was dabei wichtig ist: Signale von den Bildern, die ein bestimmtes Objekt repräsentieren, landen auch in Regionen, die ganz bestimmte emotionale Kettenreaktionen auslösen können. Eine solche Region ist in Angstsituationen beispielsweise die Amygdala oder in Situationen, die Mitgefühl hervorrufen, der ventromediale präfrontale Cortex. Die Signale werden allen diesen Stellen zugänglich gemacht. Bestimmte Signalkombinationen aktivieren aber – vorausgesetzt, die Signale sind intensiv genug und der Zusammenhang ist dafür geeignet – bevorzugt eine bestimmte Stelle, die anderen Stellen dagegen, an denen die gleichen Signale zur Verfügung stehen, werden nicht aktiviert. Es ist fast, als hätten bestimmte Reize den richtigen Schlüssel zum Öffnen eines ganz bestimmten Schlosses, die Metapher fängt allerdings die Dynamik und Flexibilität des gesamten Prozesses nicht ein. Ein Beispiel sind die Angst auslösenden Reize, die häufig die Amygdala aktivieren und die Angstkaskade in Gang setzen. Die gleiche Reizkombination aktiviert andere Stellen wahrscheinlich nicht. Gelegentlich sind manche Reize jedoch so zweideutig, dass mehrere Stellen aktiviert werden, was zu einem zusammengesetzten emotionalen Zustand führt. Die Folge ist ein bittersüßes Erlebnis, ein »gemischtes Gefühl«, das aus einer gemischten Emotion erwächst.
    In vielerlei Hinsicht ist dies die Strategie, mit der auch das Immunsystem auf eingedrungene Organismen aus der Umgebung des Körpers reagiert. Weiße Blutzellen, Lymphocyten genannt, tragen auf ihrer Oberfläche eine Vielzahl verschiedener Antikörper, die zu einer ebenso großen Zahl möglicher Antigene der Eindringlinge passen. Wenn eines dieser Antigene ins Blut gelangt und mit den Lymphocyten in Kontakt kommt, bindet es letztlich an denjenigen Antikörper, der seiner Form am besten entspricht. Das Antigen passt zum Antikörper wie ein Schlüssel zum Schloss, und das Ergebnis ist eine Reaktion: Der Lymphocyt produziert den betreffenden Antikörper nun in so großer Menge, dass er zur Zerstörung des eingedrungenen Antigens beiträgt. Als Entsprechung zum Immunsystem habe ich den Begriff emotional kompetenter Reiz

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