Selbst ist der Mensch
vorgeschlagen, um damit die formale Ähnlichkeit des emotionalen Apparats mit einem anderen grundlegenden Apparat der Lebenssteuerung deutlich zu machen.
Was geschieht, wenn »der Schlüssel ins Schloss passt«, ist geradezu aufwühlend – im wahrsten Sinne des Wortes: Der laufende Lebenszustand wird auf mehreren Ebenen des Organismus, vom Gehirn selbst bis zu den meisten Teilen des übrigen Körpers, durcheinandergebracht. Dieses Durcheinander sieht, wiederum am Beispiel der Angst, folgendermaßen aus:
Die Kerne in der Amygdala senden Befehle an den Hypothalamus und den Hirnstamm, was zu mehreren parallelen Abläufen führt. Die Pulsfrequenz verändert sich ebenso wie der Blutdruck, die Atmung und der Kontraktionszustand des Darms. Die Blutgefäße in der Haut ziehen sich zusammen. Cortisol wird im Blut ausgeschüttet, verändert das Stoffwechselprofil des Organismus und bereitet ihn damit auf zusätzlichen Energiebedarf vor. Die Gesichtsmuskeln bewegen sich und nehmen den charakteristischen Ausdruck der Angst an. Je nachdem, in welchem Zusammenhang die Angst auslösenden Bilder auftauchen, bleibt man entweder wie angewurzelt stehen oder man läuft von der Gefahrenquelle weg. Stehenbleiben oder Weglaufen, zwei sehr spezifische Reaktionen, werden von getrennten Regionen im periaquäduktalen Grau (PAG) des Hirnstamms gesteuert, und jede der beiden Reaktionen hat ihre besonderen motorischen Abläufe einschließlich der physiologischen Begleiterscheinungen. Dem Stehenbleiben folgen automatisch ruhiges Verhalten, flache Atmung und eine Abnahme der Pulsfrequenz, was von Vorteil ist, wenn man reglos bleiben und der Aufmerksamkeit des Angreifers entgehen will; beim Weglaufen dagegen steigen Pulsfrequenz und die Durchblutung der Beine an, weil man zum Weglaufen gut versorgte Beinmuskeln braucht. Wenn sich das Gehirn fürs Weglaufen entscheidet, dämpft das PAG außerdem automatisch die Nervenbahnen für die Schmerzverarbeitung. Warum? Weil sich damit die Gefahr verringert, dass eine beim Laufen erlittene Verletzung den Läufer durch heftige Schmerzen lähmt.
Es ist ein raffinierter Mechanismus: Auch das Kleinhirn, eine weitere Struktur, versucht, auf die Angstreaktion Einfluss zu nehmen. Das ist der Grund, warum die Angstreaktion bei einem ausgebildeten Angehörigen militärischer Spezialeinheiten anders ausfällt als bei jemandem, der ruhig und behütet aufgewachsen ist.
Schließlich wird auch die Verarbeitung der Bilder in der Großhirnrinde selbst durch die ablaufenden Emotionen beeinflusst. Kognitive Ressourcen wie Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis stellen sich entsprechend darauf ein. Manche Themen kommen einem nicht mehr in den Sinn – wer vor einem Scharfschützen wegläuft, denkt wohl kaum an Sex oder ans Essen.
In einem Zeitraum von wenigen Hundert Millisekunden gelingt es der emotionalen Kaskade, den Zustand mehrerer innerer Organe, des inneren Milieus, der quergestreiften Muskulatur in Gesicht und Körper sowie die Geschwindigkeit und die Inhalte unseres Denkens zu verändern. Dass dies tatsächlich aufwühlend ist, wird nach meiner festen Überzeugung niemand bestreiten. Wenn die Emotionen stark genug sind, ist Aufruhr – der Begriff, den die Philosophin Martha Nussbaum verwendete – das noch bessere Wort. 1 Alle diese Bestrebungen, die in ihrer Koordination kompliziert und im Hinblick auf ihren Energieverbrauch aufwändig sind – weshalb emotionaler Aufruhr so entsetzlich anstrengend ist –, dienen in der Regel einem nützlichen Zweck. Manchmal ist das aber auch nicht der Fall. Angst kann auch falscher Alarm sein, der durch eine fehlgeleitete Gewohnheit ausgelöst wurde. In solchen Fällen rettet sie nicht das Leben, sondern ist eine Ursache von Stress, und Stress zerstört auf lange Sicht das mentale und körperliche Leben. Dann hat der Aufruhr negative Folgen. 2
Die gesamte Ansammlung emotionaler Veränderungen wird über den in Kapitel 4 skizzierten Mechanismus vom Körper zum Gehirn übermittelt.
Der seltsame Fall des William James
Bevor ich mich der Physiologie der Gefühle zuwende, halte ich es für richtig, William James zu erwähnen. Ich möchte erörtern, welche Situation er mit seinen Worten über die Phänomene von Emotion und Gefühl für sich selbst und für die gesamte seitherige Emotionsforschung geschaffen hat.
Zusammenfassen lässt sich das Thema sehr schnell und pointiert mit einem lapidaren Zitat von William James:
Unsere übliche Vorstellung von Emotionen ist die,
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