Selbst ist der Mensch
Ressourcen das Gehirn besitzen muss, um es hervorzubringen. Neben den wahrgenommenen Bildern in verschiedenen sensorischen Bereichen muss das Gehirn über eine Möglichkeit verfügen, die jeweiligen Muster irgendwie irgendwo zu speichern, und es muss über einen Weg verfügen, um die Muster irgendwie von irgendwo abzurufen; nur dann funktioniert irgendwie irgendwo die beabsichtigte Reproduktion. Wenn das alles geschieht und wenn außerdem das Geschenk des Selbst hinzukommt, wissen wir, dass wir gerade dabei sind, uns an etwas zu erinnern.
Von dieser Fähigkeit, zu lernen und uns zu erinnern, hängt unsere Fähigkeit ab, uns in der komplexen Welt um uns herum zurechtzufinden: Menschen und Orte erkennen wir nur deshalb, weil wir Aufzeichnungen ihrer Abbilder hergestellt haben und einen Teil dieser Aufzeichnungen im richtigen Augenblick wieder hervorholen. Auch unsere Fähigkeit, uns mögliche Ereignisse auszumalen, hängt von Lernen und Erinnerung ab. Sie ist die Grundlage von Überlegungen und Orientierungen, die sich auf die Zukunft beziehen, und – allgemeiner – für die Schaffung neuer Lösungen für ein Problem. Wenn wir verstehen wollen, wie sich das alles abspielt, müssen wir im Gehirn die Geheimnisse des Irgendwie lüften und das Irgendwo lokalisieren. Das ist eine der vertrackteren Fragestellungen in der zeitgenössischen Neurowissenschaft.
Wie man an die Frage von Lernen und Erinnerung herangeht, hängt davon ab, welche Funktionsebene wir untersuchen wollen. Mittlerweile wachsen unsere Kenntnisse darüber, was auf der Ebene der Neuronen und kleinen Schaltkreise geschehen muss, damit das Gehirn lernen kann. Aus praktischer Sicht wissen wir, wie Synapsen lernen, und wir kennen sogar einige am Lernen beteiligte Substanzen und Genexpressionsmechanismen auf der Ebene der Mikroschaltkreise. 1 Bekannt ist auch, dass bestimmte Gehirnteile beim Erlernen verschiedenartiger Informationen – Objekte wie Gesichter, Orte oder Wörter auf der einen Seite, Bewegungen auf der anderen – die Hauptrolle spielen. 2 Aber bevor wir die Mechanismen des Irgendwie und Irgendwo vollständig aufklären können, bleiben noch viele Fragen zu beantworten. Im Folgenden soll eine Gehirnarchitektur skizziert werden, die zur weiteren Klärung des Problems beitragen kann.
Das Wesen von Gedächtnisaufzeichnungen
Das Gehirn stellt Aufzeichnungen von Dingen her, von ihrem Aussehen, ihrem Klang und ihrer Tätigkeit; diese Aufzeichnungen werden für den späteren Abruf aufbewahrt. Ebenso geht es auch bei Ereignissen vor. In der Regel hält man das Gehirn für ein passives Aufzeichnungsmedium, wie das Zelluloid, auf dem die Eigenschaften eines Objekts, die von Sinnesdetektoren analysiert wurden, originalgetreu abgebildet werden können. Wenn das Auge die passive, unvoreingenommene Kamera ist, entspricht das Gehirn dem passiven, unbelichteten Zelluloid. Aber das ist reine Fiktion.
Der Organismus (der Körper und sein Gehirn) tritt mit Objekten in Wechselbeziehung, und auf diese Wechselbeziehung reagiert das Gehirn. Es bildet nicht einfach die Struktur eines Gegenstands ab, sondern es zeichnet die vielfachen Folgen der Wechselbeziehungen zwischen dem Organismus und dem Gegenstand auf. Was wir von unserer Begegnung mit einem bestimmten Objekt in Erinnerung behalten, ist mehr als seine visuelle Struktur, die in den optischen Bildern der Netzhaut festgehalten wurde. Darüber hinaus sind weitere Dinge erforderlich: erstens die sensomotorischen Muster, die mit dem Anblick des Objekts einhergehen (beispielsweise Augen- und Halsbewegungen, gegebenenfalls auch Bewegungen des ganzen Körpers), zweitens das sensomotorische Muster, das gegebenenfalls mit dem Berühren des Objekts und dem Hantieren mit ihm verbunden ist, drittens das sensomotorische Muster, das sich aus dem Heraufbeschwören früher erworbener, mit dem Objekt zusammenhängender Erinnerungen ergibt, und viertens die sensomotorischen Muster, die andere auf das Objekt bezogene Emotionen und Gefühle auslösen.
Was wir normalerweise als Erinnerung an ein Objekt bezeichnen, ist in Wirklichkeit die zusammengesetzte Erinnerung an die sensorischen und motorischen Abläufe, die sich auf die Wechselwirkungen zwischen dem Organismus und dem Objekt beziehen und sich während eines gewissen Zeitraums abspielen. Das Spektrum der sensomotorischen Aktivitäten wechselt je nach dem Wert des Objekts und den Umständen; Gleiches gilt für ihre Aufrechterhaltung. Unsere Erinnerungen an bestimmte
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