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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Aktivität anregen zu können; das Wort zeitarretiert lenkt die Aufmerksamkeit auf eine andere Voraussetzung: Es ist notwendig, dass die Bestandteile einer Karte ungefähr im selben Zeitraum retroaktiviert werden, so dass Dinge, die in der Wahrnehmung gleichzeitig (oder nahezu gleichzeitig) geschehen sind, auch gleichzeitig (oder nahezu gleichzeitig) wiederhergestellt werden.
     
    Abb. 6.1 . Die Konvergenz-Divergenz-Architektur in schematischer Darstellung. Eingezeichnet sind vier Hierarchieebenen. Die primäre Ebene der Rindenfelder wird durch kleine Rechtecke symbolisiert, die drei Ebenen der Konvergenz-Divergenz-Zonen (größere Rechtecke) sind als CDZ 1 , CDZ 2 und CDR markiert. Zwischen den Ebenen von CDZ und CDR (unterbrochene Pfeile) können zahlreiche weitere CDZs angeordnet sein. Zu beachten ist, dass jeder vorwärts gerichtete Fortsatz (»Projektion«) im Netzwerk durch einen gegenläufigen Fortsatz ergänzt wird (Pfeile).
     
    Das zweite entscheidende Element in dem skizzierten Mechanismus ist das Postulat, dass es eine Arbeitsteilung zwischen zweierlei Gehirnsystemen geben muss: Das eine verwaltet Karten bzw. Bilder, das andere Dispositionen. Im Zusammenhang mit den Rindenfeldern habe ich die Vermutung geäußert, dass der Bilderraum aus mehreren Inseln oder frühen sensorischen Rindenfeldern besteht, beispielsweise aus der Gruppe von Sehrindenfeldern, die rund um die primäre Sehrinde (Areal 17 oder V 1 ) angeordnet sind, aus der Gruppe der Hörrindenfelder, der somatosensorischen Rindenfelder und so weiter.
    Zum Dispositionsraum der Großhirnrinde gehören demnach alle Assoziationsfelder höherer Ordnung im Schläfen-, Scheitel- und Stirnbereich; außerdem ist unterhalb der Großhirnrinde im basalen Vorderhirn, in den Basalganglien, dem Thalamus, dem Hypothalamus und dem Hirnstamm eine alte Gruppe von Dispositionsapparaten erhalten geblieben.
    Kurz gesagt, tauchen im Bilderraum die expliziten Bilder aller sensorischen Formen auf, darunter sowohl solche, die bewusst werden, als auch jene, die unbewusst bleiben. Der Bilderraum befindet sich im kartenproduzierenden Gehirn, jenem großen Bereich, der aus der Gesamtheit aller frühen sensorischen Rindenfelder gebildet wird, jenen Regionen der Großhirnrinde, die in und um die Eintrittsstellen visueller, akustischer und anderer sensorischer Signale angeordnet sind. Ebenso gehören dazu die Bereiche des Nucleus tractus solitarius, des Nucleus parabrachialis und der Colliculi superiores, die ebenfalls die Fähigkeit zur Bilderzeugung besitzen.
    Im Dispositionsraum sind sowohl die Dispositionen mit der Wissensgrundlage enthalten als auch die Mechanismen, mit denen dieses Wissen bei der Erinnerung rekonstruiert wird. Er ist die Quelle der Bilder für Fantasie-und Denkprozesse, und er dient auch dazu, Bewegungen zu erzeugen. Der Dispositionsraum liegt in Bereichen der Großhirnrinde, die nicht vom Bilderraum belegt sind (den Rindenfeldern höherer Ordnung und Teilen der limbischen Rindenfelder) sowie in zahlreichen subkortikalen Gehirnkernen. Wenn Dispositions-Schaltkreise aktiviert werden, senden sie Signale an andere Schaltkreise und sorgen dafür, dass Bilder oder Abläufe entstehen.
     
    Die im Bilderraum dargestellten Inhalte sind explizit , der Inhalt des Dispositionsraumes dagegen ist implizit . Zum Inhalt der Bilder haben wir, wenn wir bei Bewusstsein sind, Zugang, den Inhalt des Dispositionsraumes dagegen können wir uns nie unmittelbar erschließen. Seine Inhalte sind zwangsläufig stets unbewusst . Sie liegen in verschlüsselter, ruhender Form vor.
    Dispositionen können in die unterschiedlichsten Ergebnisse münden. Auf einer grundlegenden Ebene können sie sehr verschiedene, unterschiedlich komplexe Tätigkeiten entstehen lassen: beispielsweise die Ausschüttung eines Hormons ins Blut, die Kontraktion von Muskeln in den inneren Organen, aber auch Muskelkontraktionen in Extremitäten oder im Stimmapparat. Die Dispositionen in der Hirnrinde beinhalten aber auch Aufzeichnungen eines Bildes, das bei einer früheren Gelegenheit wahrgenommen wurde, und wirken an den Bestrebungen mit, eine Skizze dieses Bildes aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Ebenso unterstützen Dispositionen die Verarbeitung kürzlich wahrgenommener Bilder, beispielsweise indem sie Einfluss darauf nehmen, welches Maß an Aufmerksamkeit dem derzeitigen Bild gewidmet wird. Der Kenntnisse, die zur Ausführung aller dieser Aufgaben notwendig sind, werden wir uns dabei ebenso wenig

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