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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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gleichgesetzt, was nach meiner Auffassung ebenfalls ein falscher Wortgebrauch ist. Oft sagt man, man sei sich einer Sache bewusst, und meint damit nur, dass man sie »im Kopf« hat oder dass etwas zu einem wichtigen Thema geworden ist, wie in dem Satz »die globale Erwärmung ist endlich ins Bewusstsein der westlichen Staaten gedrungen«. In einer beträchtlichen Zahl moderner Untersuchungen wird Bewusstsein mit dem Geist gleichgesetzt. »Bewusstsein«, wie es hier in diesem Buch gebraucht wird, meint auch nicht »Selbstbewusstsein« wie in dem Satz »John wurde immer selbstbewusster, als sie ihn anstarrte«, und auch nicht für »Gewissen« – eine komplexe Funktion, die Bewusstsein voraussetzt, aber weit darüber hinausgeht und mit moralischer Verantwortung zu tun hat. Und schließlich ist Bewusstsein in dieser Definition nicht im umgangssprachlichen Sinn gleichbedeutend mit James’ »Bewusstseinsstrom«. Dieser Begriff bezeichnet häufig den einfachen geistigen Inhalt, der in der Zeit weiterfließt wie Wasser in einem Flussbett, nicht aber die Tatsache, dass solche Inhalte mehr oder weniger subtile Aspekte von Subjektivität umfassen. Wenn im Zusammenhang von Shakespeares Monologen oder Joyces Romanen von Bewusstsein gesprochen wird, ist häufig diese einfachere Sichtweise gemeint. Ursprünglich untersuchten diese Autoren das Phänomen jedoch offensichtlich in seiner ganzen Bedeutung, und sie schrieben aus der Sicht des Selbst einer literarischen Figur. Deshalb äußerte Harold Bloom sogar die Vermutung, Shakespeare könne das Phänomen des Bewusstseins ganz allein in die Literatur eingeführt haben. (Eine Alternative ist allerdings die völlig plausible Behauptung von James Wood, dass das Bewusstsein schon sehr viel früher in Form von Monologen Eingang in die Literatur gefunden hat, beispielsweise in Gebeten und in der griechischen Tragödie.) 1

Das Bewusstsein wird seziert
     
    Bewusstsein und Wachzustand sind nicht das Gleiche. Wachsein ist eine Voraussetzung für das normale Bewusstsein. Wenn man auf natürliche Weise einschläft oder durch eine Narkose zum Schlafen gezwungen wird, verschwindet das Bewusstsein in seiner üblichen Form. Eine Ausnahme ist der besondere Bewusstseinszustand, der Träume begleitet, aber er steht nicht wirklich im Widerspruch zu der Voraussetzung des Wachzustands, denn das Traum-Bewusstsein unterscheidet sich vom normalen Bewusstsein.
    In der Regel betrachten wir den Wachzustand als Alles-oder-nichts-Phänomen mit einer 0 für den Schlaf und einer 1 für den Wachzustand. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das, aber eine solche Alles-oder-nichts-Vorstellung verschleiert Abstufungen, die uns allen vertraut sind. Im Zustand der Schläfrigkeit oder Benommenheit ist das Bewusstsein sicher vermindert, aber es wird nicht plötzlich auf null reduziert. Das Ausschalten des Lichts ist keine genaue Analogie, die Betätigung eines Dimmers trifft es eher.
    Was sehen wir, wenn »das Licht« plötzlich oder allmählich eingeschaltet wird? In den meisten Fällen etwas, das wir in der Regel als »Gedanken« oder »geistige Inhalte« bezeichnen. Und aus was bestehen die Gedanken, die uns auf diese Weise offenbart werden? Aus Mustern, die in der Sprache der verschiedenen Sinne kartiert sind – visuell, akustisch, taktil, propriorezeptiv und so weiter. Und das alles in fantastischen Schattierungen, Tönen, Variationen und Kombinationen, die geordnet oder chaotisch dahinfließen – kurz gesagt: Bilder . Meine Ansichten über die Herkunft von Bildern habe ich zuvor bereits dargelegt (Kapitel 3); hier müssen wir uns nur daran erinnern, dass Bilder die wichtigste Währung unseres Geistes sind und dass der Begriff Muster alle sensorischen Formen bezeichnet, nicht nur visuelle Muster und nicht nur konkrete, sondern auch abstrakte.
    Wird der einfache physiologische Vorgang des Lichteinschaltens – das Erwachen aus dem Schlaf – zwangsläufig in einen bewussten Zustand umgesetzt? Das ist eindeutig nicht der Fall. Um Belege für das Gegenteil zu finden, brauchen wir nicht lange zu suchen. Fast jeder hat es schon einmal erlebt: Wir wachen übermüdet und von der Zeitumstellung gezeichnet in einem fremden Land jenseits des Meeres auf, und es dauert eine dankenswerterweise nur kurze, scheinbar aber lange Sekunde oder auch zwei, bis uns klar wird, wo wir uns eigentlich befinden. In diesem kurzen Zeitraum ist zwar ein Geist vorhanden, er ist aber noch nicht mit allen Eigenschaften des Bewusstseins versehen.

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