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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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bezeichnen, hervorbringen. Diese Gehirnstrukturen werden häufig in Mitleidenschaft gezogen, wenn neurologische Schäden einen Bewusstseinsverlust verursachen; bestimmte Narkosemittel, die hier ansetzen, können sie funktionsunfähig machen.
    Wie wir im nächsten Kapitel noch genauer erfahren werden, sind Anzeichen für Emotionen nicht nur ein Teil des äußerlich erkennbaren bewussten Zustandes, sondern das Erlebnis körperlicher Gefühle ist auch ein tiefgreifender, unverzichtbarer Bestandteil des Bewusstseins, wie wir es in der ersten Person introspektiv erleben.

Arten des Bewusstseins
     
    Bewusstsein ist wandelbar. Unterhalb einer gewissen Schwelle arbeitet es nicht, und auf einem bestimmten Niveau ist seine Tätigkeit besonders effizient. Bezeichnen wir diese Spanne einmal als »Intensitätsskala« des Bewusstseins, und betrachten wir Beispiele für ihre verschiedenen Ebenen. In manchen Augenblicken fühlen wir uns schläfrig und stehen dicht davor, in Morpheus’ Arme zu sinken, in anderen beteiligen wir uns an einer hitzigen Diskussion, die größte Aufmerksamkeit für die neu auftauchenden Details erfordert. Die Intensitätsskala reicht von dumpf bis scharf mit allen dazwischenliegenden Abstufungen.
    Neben der Intensität gibt es aber noch ein anderes Kriterium, mit dem wir das Bewusstsein einteilen können. Es hat mit der Reichweite zu tun. Eine minimale Reichweite lässt uns das Selbst spüren, wenn wir beispielsweise zu Hause eine Tasse Kaffee trinken, ohne dass wir uns über die Herkunft der Tasse oder des Kaffees Gedanken machen oder darüber, wie er sich auf den Puls auswirken wird oder was wir heute noch tun müssen. In diesem Augenblick sind wir ganz ruhig, einfach nur im Hier und Jetzt. Nun nehmen wir an, wir sitzen mit einer ähnlichen Tasse Kaffee in einem Restaurant. Wir wollen uns dort mit unserem Bruder treffen, um über das Erbe der Eltern zu sprechen und zu diskutieren, was wir mit unserer Halbschwester anfangen, die sich so seltsam benommen hat. In diesem Augenblick sind wir ebenfalls sehr präsent, aber wir begeben uns im Geist nacheinander an viele andere Orte, treffen außer unserem Bruder noch viele andere Menschen und befinden uns in Situationen, die wir nicht erlebt haben, sondern die Produkte unserer gut informierten, reichhaltigen Vorstellungskraft sind. Unser bisheriges Leben wird sehr schnell, Stück für Stück aus der Erinnerung zurückgerufen, und Stück für Stück wird auch unser zukünftiges Leben, wie wir es uns jetzt oder früher ausgemalt haben, gegenwärtig. Wir sind überall, in vielen vergangenen und zukünftigen Epochen unseres Lebens, beschäftigt. Dennoch gerät das Ich in uns nie außer Sicht. Alle diese Inhalte sind unauflöslich an einen einzigen Bezugspunkt gebunden. Selbst wenn wir uns auf ein weit entferntes Ereignis konzentrieren, bleibt die Verbindung bestehen. Das Zentrum ist fest. Das ist Bewusstsein mit großer Reichweite, eine der großartigen Errungenschaften des menschlichen Gehirns und ein definierendes Merkmal des Menschseins. Solche Gehirnprozesse haben uns dahin geführt, wo wir heute – in Freud und Leid – mit unserer Zivilisation stehen. Es ist die Art von Bewusstsein, die in Romanen, Filmen und Musik deutlich wird und die Philosophen mit ihren Überlegungen feiern.
    Ich habe diesen beiden Formen des Bewusstseins eigene Namen gegeben. Den Typ mit der minimalen Reichweite nenne ich Kernbewusstsein : Es ist das Gespür für das Hier und Jetzt, das kaum durch Vergangenheit und fast gar nicht durch Zukunft belastet ist. Es dreht sich um ein Kern-Selbst, und es geht dabei um das Personsein, aber nicht unbedingt um Identität. Die Form mit der großen Reichweite bezeichne ich als erweitertes oder autobiografisches Bewusstsein, denn es findet seinen stärksten Ausdruck, wenn ein nennenswerter Teil des eigenen Lebens ins Spiel kommt und wenn sowohl die durchlebte Vergangenheit als auch die vorweggenommene Zukunft in seinem Ablauf dominieren. Hier geht es sowohl um Personsein als auch um Identität. Die Leitung hat dabei ein autobiografisches Selbst.
    Wenn wir an das Bewusstsein denken, meinen wir in den meisten Fällen jenes Bewusstsein mit großer Reichweite, das mit dem autobiografischen Selbst einhergeht. Hier erweitert sich der bewusste Geist und schließt mühelos sowohl tatsächliche als auch imaginäre Inhalte ein. Hypothesen darüber, wie das Gehirn bewusste Zustände hervorbringt, müssen diese hohe Ebene des Bewusstseins ebenso

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