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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Verschiedenes sein: Es ist ein »Objekt« der psychologischen und neurowissenschaftlichen Forschung, es kann dem Geist, aus dem es erwächst, Wissen liefern, es kann kaum merklich sein und sich wie hinter einem Vorhang zurückziehen oder selbstbewusst ins Rampenlicht treten, es kann sich auf das Hier und Jetzt beschränken oder eine ganze Lebensgeschichte umfassen, und schließlich können sich manche dieser Aspekte auch vermischen, beispielsweise wenn das wissende Selbst kaum merklich und doch autobiografisch ist oder wenn es auffallend präsent ist, sich aber nur mit dem Hier und Jetzt beschäftigt. Das Selbst ist wahrlich ein höchst beweglicher Gegenstand.

Menschliches und nichtmenschliches Bewusstsein
     
    Das Bewusstsein ist also kein Ding, und ebenso sind Kern- und erweitertes bzw. autobiografisches Bewusstsein keine starren Kategorien. Ich habe mir zwischen den Endpunkten der Skala – dem Kern- und dem autobiografischen Selbst – immer viele Abstufungen vorgestellt. Aber die verschiedenen Arten des Bewusstseins voneinander abzugrenzen, bringt praktischen Nutzen: Es erlaubt uns die Annahme, dass die unteren Stufen der Bewusstseinsskala nicht nur dem Menschen gehören. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie auch bei zahlreichen Tierarten vorhanden, deren Gehirn komplex genug ist, um sie aufzubauen. Die Tatsache, dass das Bewusstsein des Menschen in seinen höchsten Regionen ungeheuer kompliziert, weitreichend und damit etwas ganz Besonderes ist, liegt so auf der Hand, dass es keiner besonderen Erwähnung bedarf. Manch einer mag sich aber darüber wundern, dass sich einige Menschen durch vergleichbare Bemerkungen von mir in der Vergangenheit beleidigt fühlten, entweder weil ich den nichtmenschlichen Arten ein zu geringes Bewusstsein zuschrieb oder weil ich die Sonderstellung des menschlichen Bewusstseins angeblich herabwürdigte, indem ich die Tiere mit einschloss. Wünschen Sie mir dieses Mal Glück!
    Dass nichtmenschliche, nicht mit Sprache begabte Wesen ein Kern- oder sonstiges Bewusstsein besitzen, kann niemand zufriedenstellend beweisen; man kann aber vernünftigerweise die indirekten Indizien, über die wir verfügen, triangulieren und daraus den Schluss ziehen, dass es höchstwahrscheinlich der Fall ist.
    Eine solche Triangulation würde folgendermaßen aussehen: Wenn sich erstens die Verhaltensweisen einer Spezies besser mit einem Gehirn, in dem Geistesprozesse ablaufen, erklären lassen als mit einem Gehirn mit reinen Verhaltensdispositionen (beispielsweise Reflexen) und wenn zweitens das Gehirn der Spezies alle Bestandteile enthält, die in den vorangegangenen Kapiteln als notwendige Voraussetzungen für den bewussten Geist der Menschen beschrieben wurden, dann folgt drittens, geschätzter Leser, dass die betreffende Art ein Bewusstsein hat. Unter dem Strich bin ich bereit, alle Ausdrucksformen von Tierverhalten, die auf Gefühle schließen lassen, als Zeichen dafür zu deuten, dass ein Bewusstsein nicht weit entfernt ist.
    Das Kern-Bewusstsein erfordert keine Sprache und muss der Sprache vorausgegangen sein, bei nichtmenschlichen Arten natürlich ebenso wie beim Menschen. Letztlich hätte Sprache in der Evolution wahrscheinlich nicht entstehen können, wenn es nicht Individuen mit einem Kern-Bewusstsein gegeben hätte. Warum hätten sie eine Sprache brauchen sollen? Am oberen Ende der Skala dagegen ist das autobiografische Bewusstsein in großem Umfang auf Sprache angewiesen.

Was Bewusstsein nicht ist
     
    Wenn wir wirklich verstehen wollen, welche Bedeutung das Bewusstsein hat und welche Errungenschaft seine Entstehung in den Lebewesen darstellt, müssen wir vollständig ermessen, was vorher da war. Wir müssen ein Gespür dafür bekommen, wozu Lebewesen mit normalem Gehirn und einem vollständigen, funktionsfähigen Geist in der Lage waren, bevor ihre Spezies ein Bewusstsein besaß und bevor das Bewusstsein das geistige Leben derer, die es besaßen, beherrschte. Wenn man sieht, wie sich das Bewusstsein bei einem Epilepsiepatienten oder bei einem Menschen im vegetativen Zustand auflöst, könnte bei einem arglosen Beobachter der falsche Eindruck entstehen, die Prozesse, die normalerweise unterhalb des Bewusstseins stehen, seien trivial oder nur von begrenzter Leistungsfähigkeit. Der unbewusste Bereich unseres eigenen Geistes straft solche Vorstellungen eindeutig Lügen. Damit meine ich hier nicht nur das Freud’sche Unbewusste mit seiner berühmten (und berüchtigten) Tradition, das mit

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