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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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bestimmten Inhalten, Situationen und Vorgängen gleichgesetzt wird. Ich meine vielmehr das große Unbewusste, das aus zwei Zutaten besteht: einer aktiven mit allen Bildern, die zu allen Themen und in allen Spielarten gebildet werden – Bilder, die wahrscheinlich nicht erfolgreich um die Gunst des Selbst konkurrieren können und deshalb größtenteils unbekannt bleiben, und einer ruhenden Zutat mit dem Vorrat verschlüsselter Aufzeichnungen, aus denen explizite Bilder hervorgehen können.
    Sehr deutlich wird die Gegenwart dieses nicht bewussten Teils an einem typischen Partyphänomen. Während wir uns mit dem Gastgeber unterhalten, hören wir streng genommen auch andere Gespräche: ein Gesprächsfetzen hier, ein Gesprächsfetzen da, alle an den Rändern des Bewusstseinsstroms – das heißt des Haupt stroms unseres Bewusstseins. Aber Hören ist zwangsläufig nicht dasselbe wie Zuhören, ganz zu schweigen von aufmerksamem Zuhören und einer inneren Verbundenheit mit dem, was man gehört hat. Deshalb bekommen wir viele Dinge mit, die nicht die Tätigkeit unseres Selbst erfordern. Dann macht plötzlich irgendetwas »klick«, ein Gesprächsfetzen verbindet sich mit anderen, und im Zusammenhang mit einigen Dingen, die wir zuvor nur lose mitbekommen haben, ergibt sich ein sinnvoller Zusammenhang. In diesem Augenblick konstruieren wir eine Bedeutung, die das Selbst »anlockt« und uns nun buchstäblich vom letzten Satz unseres Gastgebers wegführt. Dieser bemerkt die vorübergehende Ablenkung, und während wir das Thema, das in unseren Bewusstseinsstrom eingedrungen ist, abzuwehren versuchen, kommen wir auf die letzte Aussage unseres Gegenübers zurück und sagen in entschuldigendem Ton: »Tut mir leid, können Sie das noch einmal sagen?«
    Soweit man es feststellen kann, ist dieses Phänomen die Folge mehrerer Umstände. Erstens produziert das Gehirn ständig eine Überfülle von Bildern. Was wir sehen, hören und berühren, ruft zusammen mit dem, woran wir uns – ausgelöst durch die neu wahrgenommenen Bilder oder auch ohne erkennbaren Grund – ständig erinnern, eine Vielzahl expliziter Bilder hervor, und diese werden von einem ebenso großen Gefolge anderer Bilder begleitet, die den Zustand des eigenen Körpers während der Entfaltung all dieser Bilder darstellen.
    Zweitens neigt das Gehirn dazu, diese Überfülle von Material ganz ähnlich zu organisieren wie ein Filmregisseur: Es unterlegt ihm eine Art zusammenhängende Handlungsstruktur, in der bestimmte Handlungen bestimmte Wirkungen nach sich ziehen sollen. Dies erfordert, dass die richtigen Bilder ausgewählt und in einer Folge zeitlicher Einheiten und räumlicher Rahmen geordnet werden. Das ist keine einfache Aufgabe, denn die Bilder sind aus der Sicht ihres Besitzers nicht alle gleich. Manche stehen in einem engeren Zusammenhang mit den eigenen Bedürfnissen als andere und sind deshalb auch von anderen Gefühlen begleitet. Bilder werden unterschiedlich bewertet. Nebenbei bemerkt: Ich sage mit voller Absicht: »das Gehirn neigt zum Organisieren« und nicht »das Selbst organisiert«. Bei manchen Gelegenheiten läuft der Redaktionsvorgang ganz natürlich und mit nur geringer selbstauferlegter Lenkung ab. Wie erfolgreich er ist, hängt in solchen Fällen davon ab, wie gut unser reifes Selbst die unbewussten Prozesse »erzogen« hat. Auf dieses Thema werde ich im letzten Kapitel zurückkommen.
    Drittens kann zu jedem Zeitpunkt nur eine kleine Zahl von Bildern deutlich dargestellt werden, weil der Raum zur Produktion von Bildern knapp ist: Nur eine bestimmte Zahl von Bildern kann aktiv sein und in einem bestimmten Augenblick zum potenziellen Gegenstand der Aufmerksamkeit werden. Eigentlich bedeutet das, dass die metaphorischen »Leinwände«, auf denen unser Gehirn die ausgewählten, zeitlich geordneten Bilder darstellt, sehr begrenzt sind. In dem heute gebräuchlichen Computerjargon könnte man auch sagen: Man kann auf dem Bildschirm nur eine begrenzte Zahl von Fenstern öffnen. (In der Generation, die im digitalen Zeitalter mit Multitasking aufgewachsen ist, steigen die Obergrenzen für die Aufmerksamkeit im Gehirn steil an; dadurch werden sich voraussichtlich bestimmte Aspekte des Bewusstseins in nicht allzu ferner Zukunft verändern, wenn es nicht bereits geschehen ist. Das Glasdach der Aufmerksamkeit zu durchbrechen, hat offenkundige Vorteile, und die durch das Multitasking geschaffenen Assoziationsfähigkeiten sind ein ungeheurer Vorteil; sie dürften aber in

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