Selbst ist der Mensch
den Bereichen von Lernen, Erinnerungskonsolidierung und Emotionen auch ihren Preis haben. Wir haben keine Ahnung, was für ein Preis das sein könnte.)
Diese drei Einschränkungen (Fülle der Bilder, Neigung, sie in einer zusammenhängenden Handlung zu organisieren, und die Knappheit des Platzes für explizite Darstellung) bestehen in der Evolution schon seit langer Zeit und erforderten leistungsfähige Managementstrategien, damit sie den Organismus, in dem sie auftreten, nicht schädigen. Angesichts der Tatsache, dass die Produktion von Bildern in der Evolution von der natürlichen Selektion begünstigt wurde, weil Bilder eine präzisere Beurteilung der Umwelt und bessere Reaktionen auf sie ermöglichen, entwickelte sich das strategische Management der Bilder wahrscheinlich von unten nach oben, und zwar schon ganz zu Anfang, lange bevor das Bewusstsein entstand. Die Strategie bestand darin, automatisch jene Bilder auszuwählen, die für das fortlaufende Lebensmanagement am wertvollsten waren – es ist genau das gleiche Kriterium, das auch für die natürliche Selektion von Bilderzeugungsapparaten gilt. Besonders wertvolle Bilder wurden wegen ihrer großen Bedeutung für das Überleben durch emotionale Faktoren »herausgehoben«. Diese besondere Kennzeichnung bewerkstelligt das Gehirn vermutlich durch Schaffung eines emotionalen Zustands, der das Bild in einer Art Parallelspur begleitet. Das Ausmaß der Emotion dient dabei als »Markierung« für die relative Bedeutung des Bildes. Genau diesen Mechanismus beschreibt die »Hypothese der somatischen Marker«. 6 Der somatische Marker muss keine voll ausgeprägte Emotion sein, die als Gefühl offen erlebt wird. (Nichts anderes ist ein »Bauchgefühl«.) Es kann sich auch um ein verdecktes, an Emotionen geknüpftes Signal handeln, dessen sich der Betreffende nicht bewusst ist – in diesem Fall bezeichnen wir es als Voreingenommenheit . Die Vorstellung von somatischen Markern lässt sich nicht nur auf hohe Kognitionsebenen anwenden, sondern auch auf frühere Evolutionsstadien. Die Hypothese der somatischen Marker beschreibt einen Mechanismus, nach dem die Gehirne eine wertbasierte Auswahl von Bildern vornehmen und diese Auswahl in bearbeitete, ununterbrochene Bildfolgen umsetzen. Mit anderen Worten: Das Prinzip für die Auswahl der Bilder wurde mit den Notwendigkeiten des Lebensmanagements verknüpft. Nach meiner Vermutung erfolgte die Gestaltung der ursprünglichen Handlungsstrukturen, an denen der Körper, seine Stellung, seine Wechselbeziehungen und seine Wege durch die Umwelt beteiligt waren, nach dem gleichen Prinzip.
Die Evolution aller zuvor genannten Strategien begann nach meiner Vermutung lange bevor es ein Bewusstsein gab, zu einer Zeit, als gerade genügend Bilder vorhanden waren und vielleicht zum ersten Mal ein echter Geist aufblühte. Das riesige Unbewusste ist vermutlich schon seit sehr langer Zeit ein Teil der Organisation des Lebendigen. Das Seltsame dabei: Es ist als großer, unterirdischer Bereich unter unserem begrenzten, bewussten Dasein immer noch in uns.
Warum setzte sich das Bewusstsein durch, sobald es den Organismen als eine Möglichkeit zur Verfügung stand? Warum wurden die das Bewusstsein erzeugenden Vorrichtungen im Gehirn von der natürlichen Selektion begünstigt? Eine mögliche Antwort werden wir am Ende des Buches betrachten: Das Erzeugen, Ausrichten und Organisieren von Bildern des Körpers und der Umwelt unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse des Organismus steigerten die Wahrscheinlichkeit eines effizienten Lebensmanagements und verbesserten so die Überlebenschancen. Durch das Bewusstsein kam schließlich die Möglichkeit hinzu, über die Existenz des eigenen Organismus und seine Bemühungen, am Leben zu bleiben, Bescheid zu wissen . Das Wissen war natürlich nicht nur von der Schaffung und Darstellung expliziter Bilder abhängig, sondern auch von ihrer Speicherung in impliziten Aufzeichnungen. Das Wissen verknüpfte den Kampf ums Dasein mit einem einheitlichen, identifizierbaren Organismus. Nachdem solche Wissenszustände ans Gedächtnis übermittelt wurden, konnten sie mit anderen aufgezeichneten Tatsachen verknüpft werden, und allmählich sammelte sich das Wissen über die individuelle Existenz an. Die in diesem Wissen enthaltenen Bilder wiederum konnten in einem Prozess des Überlegens, der den Weg für Reflexion und zielgerichtetes Handeln eröffnete, erinnert und manipuliert werden. Der Bildverarbeitungsapparat konnte nun
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