Selbst ist der Mensch
handelt sich aber um verschiedene Systeme. Dass ein System in das andere passt, lässt nicht auf eine tatsächliche Übertragung von Karten schließen, sondern auf eine Koordination, durch die beide Kartensätze zur selben Zeit vergegenwärtigt werden können. Die Kartierung einer bestimmten Region im Körperinneren würde beispielsweise an jenen Abschnitt des allgemeinen Rahmens signalisiert, in dem die Region am besten zu dem anatomischen Gesamtschema passt. Übelkeit zum Beispiel verspüren wir oft im Verhältnis zu einem bestimmten Körperteil, beispielsweise dem Magen. Obwohl die interozeptive Karte so vage ist, wird sie in die Gesamtkarte des Organismus eingepasst.
Karten des sensorischen Portals für die Außenwelt
Indirekt habe ich die sensorischen Portale bereits in Kapitel 4 erwähnt, als ich beschrieben habe, in welche Fassung die Sinnesorgane – die Diamanten – eingesetzt sind. Hier stelle ich sie nun in den Dienst des Selbst. Die Repräsentation der verschiedenen sensorischen Portale im Körper ist – wie die Körperregionen, die Augen, Ohren, Zunge, Nase umschließen – eine eigene Unterkarte des Organismus und ein Sonderfall. In meiner Vorstellung »passen« die Karten des sensorischen Portals in das Gerüst der übergeordneten Karten des Organismus, ganz ähnlich, wie es auch für das übergeordnete System des Fühlens erforderlich ist: nicht durch tatsächliche Übertragung von Karten, sondern durch zeitliche Koordination. Die Frage, wo sich manche dieser Karten im Einzelnen befinden, ist derzeit Gegenstand der Forschung.
Die Karten der sensorischen Portale dürften eine Doppelrolle spielen: Einerseits bauen sie die Perspektive auf (ein wichtiger Aspekt des Bewusstseins), und andererseits dienen sie zur Konstruktion qualitativer Aspekte des Geistes. Zu den Merkwürdigkeiten bei der Wahrnehmung eines Objekts gehört die einzigartige Beziehung, die wir zwischen den geistigen Inhalten, die das Objekt beschreiben, und denen, die dem an der jeweiligen Wahrnehmung beteiligten Körperteil entsprechen, herstellen. Wir wissen, dass wir mit den Augen sehen, aber wir spüren auch, wie wir mit den Augen sehen . Wir wissen, dass wir mit den Ohren hören, nicht aber mit den Augen oder der Nase. Wir spüren Geräusche im Außenohr und am Trommelfell. Wir tasten mit den Fingern, riechen mit der Nase und so weiter. Dies mag auf den ersten Blick trivial erscheinen, ist es aber in Wirklichkeit durchaus nicht. Die »Lage der Sinnesorgane« kennen wir schon im zarten Alter, vermutlich schon bevor wir sie durch Schlussfolgerungen entdecken, indem wir eine bestimmte Wahrnehmung mit einer bestimmten Bewegung verknüpfen, und vielleicht noch bevor Reime und Lieder uns in der Schule lehren, woher die Sinne ihre Information beziehen. Dennoch ist dies eine seltsame Form des Wissens. Immerhin kommen visuelle Bilder von den Neuronen in der Netzhaut, und die sagen uns eigentlich nichts über den Teil unseres Körpers, in dem die Netzhäute zufällig liegen: im Inneren der Augäpfel, die sich im Inneren der Augenhöhlen in einem bestimmten Teil des Gesichts befinden. Wie finden wir überhaupt heraus, dass die Netzhäute gerade dort ihren Platz haben? Ein Kind bemerkt natürlich, dass es nicht mehr sehen kann, wenn es die Augen schließt, und dass es weniger hört, wenn es sich die Ohren zuhält. Aber darum geht es wohl kaum. Entscheidend ist, dass wir »fühlen«, wie der Schall in die Ohren gelangt, und dass wir »fühlen«, dass wir mit den Augen herumschauen und etwas sehen. Ein Kind vor einem Spiegel würde das Wissen bestätigen, das es aufgrund zusätzlicher Informationen aus Körperteilen »rund um« die Netzhäute bereits erworben hat. Die Gesamtheit dieser Körperstrukturen stellt ein sensorisches Portal dar, wie ich es nenne. Im Falle des Sehens gehört zum sensorischen Portal nicht nur die Augenmuskulatur, mit der wir die Augen bewegen, sondern auch vieles andere: der gesamte Apparat, mit dem wir ein Objekt scharf stellen, indem wir die Größe der Linse anpassen, der Apparat für die Anpassung der Lichtintensität, der den Durchmesser der Pupillen (die Kamerablende unserer Augen) vergrößert oder verkleinert, und schließlich die Muskeln im Umfeld der Augen, mit denen wir die Stirn runzeln, blinzeln oder Heiterkeit ausdrücken. Augenbewegungen und Blinzeln sind für die Verarbeitung unserer visuellen Bilder von entscheidender Bedeutung, und interessanterweise wirken sie auch an der effizienten, realistischen
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