Selbst ist der Mensch
Bearbeitung von Filmaufnahmen mit.
Das Sehen beschränkt sich nicht darauf, dass ein geeignetes Lichtmuster auf die Netzhaut fällt. Es umfasst auch alle anderen begleitenden Reaktionen; manche davon sind unentbehrlich, damit auf der Netzhaut ein scharfes Muster entsteht, manche sind gewohnheitsmäßige Begleiter des Sehvorgangs, und manche sind bereits schnelle Reaktionen auf die Verarbeitung des eigentlichen Musters.
Vergleichbare Verhältnisse herrschen auch beim Hören. Die Vibration des Trommelfells und einer Reihe winzig kleiner Knochen im Mittelohr können dem Gehirn parallel zum Geräusch selbst signalisiert werden, das sich im Innenohr auf der Ebene der Schnecke abspielt: Dort werden Frequenz, zeitlicher Verlauf und Klangfarbe kartiert.
Die komplexen Vorgänge an den Sinnesportalen dürften einer der Gründe sein, warum Kindern wie auch Erwachsenen manchmal Irrtümer bei der Wahrnehmung eines Ereignisses unterlaufen: Dann berichten sie zum Beispiel, sie hätten ein Objekt zuerst gesehen und dann gehört, obwohl es in Wirklichkeit umgekehrt war. Das Phänomen ist wird als »Quellenirrtum« bezeichnet.
Die unauffälligen sensorischen Portale spielen eine entscheidende Rolle für die Definition der Perspektive des Geistes im Verhältnis zur übrigen Welt. Ich spreche hier nicht von dem biologisch einzigartigen Phänomen des Protoselbst, sondern ich meine einen Effekt, den wir alle im Geist erleben: Wir haben eine Position zu allem, was sich außerhalb des Geistes abspielt. Dabei handelt es sich nicht nur um eine »An-Sicht«, auch wenn das Sehen für die sehfähige Mehrheit der Menschen in den meisten Fällen die Tätigkeit des Geistes beherrscht. Wir haben auch eine Position zu den Geräuschen der Umwelt, eine Position zu den Gegenständen, die wir berühren, und sogar eine Position zu den Objekten, die wir in unserem eigenen Körper spüren – dem Ellenbogen und seinen Schmerzen oder unseren Füßen, mit denen wir über den Sand gehen.
Wir glauben nicht fälschlich, wir würden mit dem Bauchnabel sehen oder mit den Achselhöhlen hören (so faszinierend diese Möglichkeiten auch sein mögen). Die sensorischen Portale, in deren Nähe die Daten zur Bilderzeugung gesammelt werden, liefern dem Geist die Position des Organismus relativ zu einem Objekt. Diese Position wird aus der Gesamtheit der Körperregionen hergeleitet, um die herum Wahrnehmungen entstehen. Aufgegeben wird diese Position nur unter anormalen Bedingungen (Out-of-Body-Erlebnisse), die eine Folge von Gehirnerkrankungen, psychischen Traumata oder experimentellen Manipulationen mit Apparaturen für virtuelle Realität sein können. 8
Nach meiner Vorstellung erwächst die Perspektive des Organismus aus verschiedenen Quellen. Sehen, Hören, Gleichgewicht, Geschmack und Geruch sind von sensorischen Portalen abhängig, die alle nicht weit voneinander entfernt im Kopf liegen. Den Kopf können wir uns als vieldimensionales Überwachungsinstrument vorstellen, das dazu da ist, die Welt in sich aufzunehmen. Der Tastsinn verteilt sich über den ganzen Körper und hat damit ein breiteres sensorisches Portal, aber auch die durch Tasten vermittelte Perspektive weist eindeutig auf den einzelnen Organismus als Ausgangspunkt hin und signalisiert eine Stelle an dessen Oberfläche. Die gleiche umfassende Verteilung gilt für die Wahrnehmung unserer eigenen Bewegungen, die ebenfalls im Verhältnis zum ganzen Körper erfolgt, aber ihren Ursprung stets im einzelnen Organismus hat.
Was die Großhirnrinde angeht, so müssen die meisten Daten aus den sensorischen Portalen im somatosensorischen System landen, wobei SI und SII gegenüber der Inselrinde bevorzugt werden. Daten aus dem individuellen sensorischen Portal für das Sehen werden auch an die sogenannten frontalen Augenfelder weitergegeben, die im Brodman-Areal 8 der oberen und seitlichen Stirnlappen liegen. Auch diese räumlich getrennten Gehirnareale müssen durch irgendeinen Integrationsmechanismus funktionell verknüpft werden.
Eine letzte notwendige Anmerkung betrifft die Ausnahmesituation der somatosensorischen Rindenfelder. Diese Felder übertragen Signale aus der Außenwelt (Berührungskarten sind das wichtigste Beispiel), aber auch aus dem Körper (wie im Fall der Interozeption) und aus den sensorischen Portalen. Die Komponente der sensorischen Portale gehört natürlich zur Struktur des Organismus und damit zum Protoselbst.
Demnach besteht zwischen zwei Gruppen von Mustern ein bemerkenswerter
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