Selbst ist der Mensch
lustvoller Zustände und den zugehörigen angenehmen Gefühlen beteiligt.
In jedem einzelnen Augenblick erzeugt eine Untergruppe dieser Signale, die in bestimmten Kernen des oberen Hirnstamms zusammengesetzt und modifiziert werden, ursprüngliche Gefühle. Der Hirnstamm stellt für die Signale nicht nur eine Durchgangsstation vom Körper zur Großhirnrinde dar. Er ist auch eine Entscheidungsstelle, die genau auf dieser Ebene Veränderungen wahrnehmen und auf vorbestimmte, aber abgestufte Weise reagieren kann. Die Funktionsweise dieses Entscheidungsapparats trägt zum Aufbau der ursprünglichen Gefühle bei; deshalb sind solche Gefühle nicht nur einfa-che »Abbildungen« des Körpers, sondern komplizierter als einfache Karten. Ursprüngliche Gefühle sind ein Nebenprodukt der Art und Weise, wie die Kerne des Hirnstamms organisiert werden, und deren unauflöslicher Verbindungsschleife mit dem Körper. Einen Beitrag leisten möglicherweise auch die Funktionsbesonderheiten der jeweils beteiligten Neuronen.
Abb. 8.2 . Die Hauptbestandteile des Protoselbst
Ursprüngliche Gefühle gehen allen anderen Gefühlen voraus. Sie beziehen sich gezielt und ausschließlich auf den lebenden Körper, der mit seinem Hirnstamm verbunden ist. Alle Gefühle von Emotionen sind Varianten der momentan vorhandenen ursprünglichen Gefühle. Alle Gefühle, die durch die Wechselbeziehung von Objekten mit dem Organismus verursacht werden, sind Varianten der momentan vorhandenen ursprünglichen Gefühle. Ursprüngliche Gefühle und ihre emotionalen Varianten erzeugen einen Beobachterchor, der alle anderen im Geist ablaufenden Bilder begleitet.
Wie wichtig das interozeptive System ist, wenn man den bewussten Geist verstehen will, kann man gar nicht nachdrücklich genug betonen. Die Prozesse in diesem System sind im Wesentlichen unabhängig von der Größe der Strukturen, in denen sie entstehen, und sie stellen eine besondere Form von Input dar, der schon früh in der Entwicklung und durch die gesamte Kindheit und Jugend hindurch vorhanden ist. Mit anderen Worten: Interozeption ist eine geeignete Grundlage für die relative Unveränderlichkeit , die notwendig ist, damit für das, was später das Selbst darstellt, eine Art stabiles Gerüst geschaffen wird.
Die Frage der relativen Unveränderlichkeit ist von entscheidender Bedeutung, denn das Selbst ist ein einzigartiger Prozess, und für diese Einzigartigkeit müssen wir eine plausible biologische Verankerung finden. Genau genommen, sollte schon der eine Körper eines Organismus für diese unbedingt notwendige, biologische Einzigartigkeit sorgen. Wir leben nicht in zwei Körpern, sondern in einem (diese Tatsache leugnen nicht einmal siamesische Zwillinge), und wir haben einen Geist, der zu diesem Körper gehört, sowie ein Selbst, das zu beiden gehört. (Ein multiples Selbst und multiple Persönlichkeiten sind keine normalen Geisteszustände.) Diese Verankerung kann aber wahrscheinlich nicht der gesamte Körper sein, denn der Körper als Ganzes führt ständig verschiedene Tätigkeiten aus und verändert entsprechend seine Form, ganz zu schweigen von seinem Größenwachstum von der Geburt bis zum Erwachsenenalter. Die Verankerung muss man also an anderer Stelle suchen: nicht im Körper als Gesamtheit, sondern in einem Körperteil, der sich innerhalb des Körpers befindet. Sie muss jenen Abschnitten des Körpers entsprechen, die sich am wenigsten oder überhaupt nicht verändern. Die am wenigsten veränderlichen Aspekte des Organismus sind das innere Milieu und viele mit ihm verbundene Parameter der inneren Organe; dies gilt in allen Altersgruppen während des ganzen Lebens, und zwar nicht deshalb, weil sich die Parameter nicht verändern würden, sondern weil ihre Tätigkeit voraussetzt, dass ihr Zustand nur innerhalb eines sehr engen Bereichs schwankt. Die Knochen wachsen während der gesamten Entwicklung, ebenso die Muskeln, die sie bewegen; aber die chemische Mischung, in der sich das Leben abspielt – der Durchschnittsbereich ihrer Parameter –, bleibt im Wesentlichen die gleiche, unabhängig davon, ob man drei, 50 oder 80 Jahre alt ist. Und ganz egal, ob man 60 Zentimeter oder 1,80 Meter groß ist, das, was das biologische Wesen eines Angst- oder Glückszustandes ausmacht, ist im Hinblick darauf, wie solche Zustände durch chemische Veränderungen des inneren Milieus und durch Zusammenziehen oder Entspannen der glatten Muskulatur in den Eingeweiden entstehen, aller
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