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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Kontrast. Einerseits gibt es unendlich viele verschiedene Muster, die herkömmliche Objekte beschreiben (von denen sich manche als Anblicke und Geräusche, Geschmack und Geruch außerhalb des Körpers befinden, während andere, beispielsweise Gelenke oder Hautabschnitte, zum Körper selbst gehören). Auf der anderen Seite gibt es die große Ähnlichkeit zwischen den zahlenmäßig relativ überschaubaren Mustern, die mit dem Körperinneren und seiner streng kontrollierten Regulation zu tun haben. Es besteht ein unausweichlicher, grundlegender Unterschied zwischen dem streng kontrollierten Aspekt der Lebensvorgänge innerhalb unseres eigenen Organismus und all den vorstellbaren Dingen und Ereignissen in der Außenwelt oder im übrigen Körper. Dieser Unterschied ist von entscheidender Bedeutung, wenn man die biologischen Grundlagen des Selbst-Prozesses verstehen will.
     
    Den gleichen Kontrast zwischen Vielfalt und Ähnlichkeit gibt es auf der Ebene der sensorischen Portale. Wenn die sensorischen Portale einen Übergang von ihrem Grundzustand in den mit dem Sehen verbundenen Zustand durchmachen, müssen die damit verbundenen Änderungen nicht umfangreich sein, sie können es aber. Die Veränderungen müssen nur deutlich machen, dass eine Beteiligung von Organismus und Objekt stattgefunden hat. Über das Objekt, auf das sich diese Beteiligung bezieht, müssen sie nichts aussagen.
    Kurz gesagt, bietet die Kombination aus innerem Milieu, Struktur der inneren Organe und dem Grundzustand der sensorischen Portale für die Außenwelt eine Insel der Stabilität in einem Meer der Bewegung. Sie sorgt für einen relativ zusammenhängenden funktionellen Zustand in einer Umgebung aus dynamischen Prozessen, die ausgeprägte Schwankungen erleben. Man stelle sich eine große Menschenmenge vor, die eine Straße entlangmarschiert; eine kleine Gruppe in der Mitte der Menge bewegt sich stetig und in zusammenhängender Formation, die restlichen Menschen eilen locker in einer Art Brown’scher Bewegung hin und her, wobei manche hinter den anderen zurückbleiben, manche die Kerngruppe überholen und so weiter.
    Zu dem Gerüst, das sich aus der relativen Unveränderlichkeit des inneren Milieus ergibt, muss noch ein weiteres Element hinzukommen: die Tatsache, dass der restliche Körper stets untrennbar mit dem Gehirn verbunden bleibt. Diese Verbindung ist die Grundlage der Entstehung ursprünglicher Gefühle und der einzigartigen Beziehung zwischen dem Körper als Objekt und dem Gehirn, das dieses Objekt repräsentiert. Wenn wir Karten von Objekten und Vorgängen in der Außenwelt erzeugen, bleiben diese Objekte und Vorgänge in der Außenwelt. Kartieren wir dagegen Objekte und Vorgänge im Körper, bleiben sie im Organismus und wandern nirgendwo anders hin. Sie wirken auf das Gehirn, können aber auch selbst jederzeit einer Wirkung unterliegen; auf diese Weise bildet sich eine Resonanzschleife, die eine Art Körper-Geist-Verschmelzung bewirkt. Damit stellen sie das lebendige Material dar, das den notwendigen Zusammenhang für alle anderen geistigen Inhalte garantiert. Das Protoselbst ist mehr als eine Ansammlung von Karten des Körpers, vergleichbar der hübschen Sammlung von Bildern und abstrakten expressionistischen Gemälden, welche ich in meinem Gehirn herumtrage. Die Ansammlung von Karten, die das Protoselbst bilden, bleibt vielmehr interaktiv mit seiner Quelle verbunden, eine tiefe Wurzel, die nicht abgeschnitten werden kann. Leider haben die Bilder meiner abstrakten expressionistischen Lieblingsgemälde, die ich in meinem Gehirn mitführe, keinerlei physische Verbindung zu ihrer Quelle. Ich würde mir das zwar wünschen, sie befinden sich aber nur in meinem Gehirn.
     
    Schließlich sollte ich anmerken, dass man das Protoselbst nicht mit einem Homunculus verwechseln darf, ebenso wenig wie das Selbst, das aus seiner Abwandlung entsteht, nicht homunculoid ist. Die traditionelle Vorstellung vom Homunculus sieht einen kleinen Menschen im Gehirn sitzen, der alles weiß, weise ist, Fragen über die Vorgänge im Geist beantworten kann und Interpretationen für das Geschehen liefert. Das gut untersuchte Problem, das der Homunculus aufwirft, liegt in dem damit geschaffenen unendlichen Regress. In dem kleinen Menschen, dessen Wissen uns zu bewussten Wesen machen würde, müsste ein noch kleinerer Mensch sitzen, der ihm wiederum die notwendigen Kenntnisse vermittelt, und so immer weiter. Das funktioniert nicht. Das Wissen, das unseren Geist zu

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