Selbst ist der Mensch
Besonderheit des Objekts, das diese Gefühle ursprünglich ausgelöst hat. Weitere wichtige Bestandteile sind die Perspektive sowie das Gefühl der Eigentümerschaft und der Handlungsfähigkeit.
Wahrscheinlich spielt auch hier der zeitliche Ablauf eine Rolle, das heißt der Zeitpunkt, zu dem das verursachende Objekt erstmals verarbeitet wird und die ersten Veränderungen des Protoselbst auftreten. Diese Schritte finden in engem zeitlichem Zusammenhang in Form eines Handlungsablaufs statt, der durch Echtzeit-Abläufe erzwungen wird. Die erste Ebene der Verknüpfungen zwischen dem abgewandelten Protoselbst und dem Objekt ergibt sich ganz natürlich aus der zeitlichen Abfolge, in der die jeweiligen Bilder erzeugt und in den Bewusstseinsstrom aufgenommen werden. Kurz gesagt, muss das Protoselbst einsatzbereit sein – das heißt wach genug, um das ursprüngliche, aus seinem Zwiegespräch mit dem Körper geborene Gefühl des eigenen Daseins zu erzeugen. Dann muss die Verarbeitung des Objekts die verschiedenen Aspekte des Protoselbst abwandeln, und diese Ereignisse müssen miteinander verknüpft werden.
Ist möglicherweise ein neuronaler Koordinationsapparat erforderlich, damit die zusammenhängende Handlung, die das Protoselbst definiert, ablaufen kann? Die Antwort hängt davon ab, wie komplex die Szene ist und ob sie zahlreiche Objekte einschließt. Wenn das der Fall ist, brauchen wir nach meiner Überzeugung selbst dann, wenn die Komplexität nicht annähernd jenes Niveau erreicht, das wir im nächsten Kapitel im Zusammenhang mit dem autobiografischen Selbst betrachten werden, einen Koordinationsapparat zur Herstellung der Zusammenhänge. Für diese Funktion gibt es auf der subkortikalen Ebene gute Kandidaten.
Der erste ist der Colliculus superior. Dass ich ihn nenne, wird ein Lächeln auslösen, obwohl die Koordinationsleistungen dieses altbewährten Hilfsmittels nicht infrage gestellt werden können. Aus den in Kapitel 3 skizzierten Gründen sind die tieferen Schichten der Colliculi superiores für eine solche Funktion gut geeignet. Da sie die Möglichkeit bieten, Bilder von verschiedenen Aspekten der inneren und äußeren Welt zu überlagern, sind die tiefen Schichten der Colliculi ein Musterbeispiel dafür, in welche Richtung sich das Geist und Selbst erzeugende Gehirn am Ende entwickelte. 10 Aber auch die Einschränkungen liegen auf der Hand. Wenn es um die Komplexität des autobiografischen Selbst geht, können wir nicht damit rechnen, dass die Colliculi die Führungsrolle für die Koordination von Bildern in der Hirnrinde übernehmen.
Der zweite Kandidat für die Funktion des Koordinators ist der Thalamus, insbesondere seine Assoziationskerne, die von ihrer Lage her ideal dafür geeignet wären, funktionelle Verknüpfungen zwischen getrennten Rindenaktivitäten herzustellen.
Dem Gehirn beim Aufbau eines bewussten Geistes zuschauen
Stellen wir uns einmal folgende Situation vor: Ich sehe zu, wie Pelikane ihren Jungen das Frühstück bringen. Anmutig fliegen sie über den Ozean, manchmal knapp über der Oberfläche, manchmal auch höher. Wenn sie einen Fisch ausmachen, schießen sie plötzlich zur Wasseroberfläche hinab, der Concordeähnliche Schnabel befindet sich in Landestellung, die Flügel sind in einer wunderschönen Delta-Form nach hinten gerichtet. Sie verschwinden im Wasser und tauchen im nächsten Augenblick wieder auf, triumphierend und mit einem Fisch im Schnabel.
Meine Augen sind damit beschäftigt, den Pelikanen mit Blicken zu folgen. Während sich die Vögel hin und her bewegen, mal näher und mal weiter entfernt, verändern die Linsen in meinen Augen die Brennweite, die Pupillen passen sich an die wechselnden Lichtverhältnisse an. Die Augenmuskeln arbeiten auf Hochtouren, um den schnellen Bewegungen der Vögel zu folgen, mein Hals hilft ebenfalls mit geeigneten Anpassungsbewegungen. Der Lohn für meine Neugier und mein Interesse ist der Anblick dieses außergewöhnlichen Rituals – die Show macht mir Spaß.
Infolge dieser Betriebsamkeit in der Realität und in meinem Gehirn gelangen Signale in meine Sehrinde. Sie stammen von den Netzhautkarten, die das Treiben der Pelikane aufzeichnen und ihr Auftauchen als zu kennende Objekte definieren. Es entsteht eine Fülle bewegter Bilder. Die Signale werden auf parallelen Spuren in verschiedenen Gehirnregionen verarbeitet: in den Sehfeldern der Stirnlappen (Areal 8, das für die Augenbewegungen zuständig ist, nicht aber für die Bilder als
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