Selbstmord der Engel
Antwort mehr, denn ich wusste, dass Maxine nicht anrief, um mich zu fragen, ob es in London auch eine laue Nacht gab. Nein, nein, da gab es schon bestimmte Gründe, und die würde sie mir klarlegen.
»Bist du noch dran, John?«
»Klar. Ich habe mich nur eben von meiner Überraschung erholen müssen. Du hast mich nicht in meiner Wohnung erreicht, sondern vor einem Lokal. Ich sitze hier mit Glenda zusammen.«
»Das verstehe ich, John. Es tut mir auch Leid, dass ich euch stören muss, aber es ist wirklich wichtig, weshalb ich anrufe.«
»Kein Problem, worum geht es?« Ich hatte die Frage recht locker gestellt, aber diese Lockerheit verging mir rasch, als ich erfuhr, weshalb mich Maxine anrief.
Glenda, die mir gegenübersaß, hatte Fragen stellen wollen. Das sah ich ihr an, aber auch sie bemerkte meine plötzliche Anspannung und hielt zunächst den Mund.
Ich ließ Maxine reden, störte sie auch nicht durch Zwischenfragen. Als sie das Ende des Berichts erreicht hatte, da erst meldete ich mich.
»Es klingt unglaublich, Max, aber...«
Sie unterbrach mich. »Es ist wahr, John!«
»Ja, ja, das nehme ich dir ab. Ich glaube dir alles, denn uns ist in etwa das Gleiche widerfahren.«
Jetzt war sie geschockt. »Wieso? Einen Selbstmord eines Engels? Bitte, lass hören.«
In den nächsten zwei Minuten bekam Glenda große Augen. Sie verstand nicht, dass ich unsere Erlebnisse zum Besten gab. Sie schüttelte sogar den Kopf, unterbrach mich allerdings nicht und hörte auch meinen Abschlusssatz.
»Dann müssen wir einfach davon ausgehen, dass die beiden Fälle Zusammenhängen.«
»Das ist Wahnsinn«, flüsterte Maxine.
»So kannst du es nennen.« Ich lehnte mich wieder zurück und trank einen Schluck Wasser. »Aber dieser Wahnsinn hat Methode. Wir müssen davon ausgehen, dass die Selbstmorde nicht zufällig begangen worden sind. Und auch die Orte, an denen sie passierten, entsprechen nicht dem Zufall. Das sage ich dir auch.«
»Aber warum ist das so?«
»Ich kann es dir nicht sagen, Max. Man will uns aufmerksam machen. Gewisse Personen sind hilflos.«
»Weißt du denn, wie du ihnen helfen kannst?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
»Wie sieht es bei dir mit Spuren aus?«
Maxine lachte mir freudlos ins Ohr. »Nichts, John, gar nichts. Dieser Engel hat sich aufgelöst wie bei dir. Nur blieb bei uns eine Schmiere zurück.«
»Damit kann man nicht viel anfangen.«
»Ich verstehe das alles nicht. Die Engel begehen Selbstmord, weil sie sich vor etwas fürchten und dort hineingetrieben werden. Und dann werden sie noch mal vernichtet. Da reißt ihr Körper auf. Es entsteht ein ungewöhnliches Licht, das ich beim besten Willen nicht als hell ansehen kann. Was hat das alles zu bedeuten?«
»Ich habe noch keine Ahnung, Max. Nur steht fest, dass ich mich dahinterklemmen werde. Aber ich würde dir und Carlotta raten, vorsichtig zu sein. Ob das Schicksal oder der Zufall sich wirklich die Selbstmordorte ausgesucht haben, damit gerade wir als Zeugen fungieren, kann ich dir nicht sagen. Jedenfalls ist es kein Spaß, und es kann verdammt gefährlich für uns werden.«
»Das muss ich wohl auch so annehmen«, flüsterte sie.
»Du wirst wach bleiben?«
»Natürlich.«
»Dann bleiben wir in Verbindung. Wir rufen uns gegenseitig an, sollte sich etwas ereignen.«
»Einverstanden. Ach, noch etwas, John. Meinst du auch, dass diese beiden Selbstmorde erst so etwas wie der Anfang gewesen sind?«
»Das befürchte ich, Max...«
***
Der letzte Satz des Geisterjägers klang noch in den Ohren der Tierärztin nach, als sie auflegte. Sie blieb neben dem Telefon sitzen und holte ein paar Mal tief Atem. Der Blick war nach unten gerichtet. Was sie gehört hatte, musste sie erst verdauen, was ihr nicht leicht fiel, und immer wieder schüttelte sie den Kopf.
Sie konnte nicht begreifen, dass John Sinclair fast das Gleiche erlebt hatte wie Carlotta. Das war in ihren Augen kein Zufall. Da steckte ein Plan dahinter, aber sie konnte sich keinen vorstellen, und auch John Sinclair war dazu nicht in der Lage.
Als sie die schwachen Geräusche der Schritte hörte, schaute sie auf und sah Carlotta neben sich. Ihre Lippen waren zu einem gezwungen wirkenden Lächeln verzogen, als sie fragte: »Du hast keine guten Nachrichten aus London gehört?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Wie schlecht waren sie denn?«
Mit Carlotta konnte man reden wie mit einer erwachsenen Person, und das tat Maxine auch. »Ich will nicht unbedingt behaupten, dass sie schlecht waren,
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