Selbstmord der Engel
in Ordnung. Es gab Probleme. Er musste zu denjenigen gehören, die sich die Menschen nicht eben als Schutzpatron auswählten.
Ich blieb so dicht neben dem Gefallenen stehen, dass ihn meine Füße fast berührten. Er bewegte sich wirklich um keinen Millimeter. Es gab keine Anzeichen für ein Atmen, ich sah kein Zucken in seinem Gesicht, bei ihm war alles starr.
Im Moment interessierte mich nicht das seltsame Licht aus seinem Körper, ich wollte mir sein Gesicht anschauen. Oft kann man aus den Zügen etwas herauslesen.
Schon beim ersten Hinsehen stellte ich fest, dass diese Gestalt ein neutrales Gesicht besaß. Es war nicht herauszufinden, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelte. Das Gesicht war glatt. Da gab es kein Leben, aber auch keine Falten zu sehen. Es wirkte auf mich wie gemeißelt und poliert.
Dann schaute ich mir die Öffnung näher an. Es gab sie tatsächlich. Da hatten wir uns nicht getäuscht. Vom Hals bis zum Beginn der Beine zog sie sich hin. Nicht bis zu den Füßen, wie wir zunächst aus der Entfernung gemeint hatten.
Und aus ihr sickerte das Licht. Es drängte sich in die Höhe. Es war mehr schattig als hell. Wenn man Fantasie besaß, konnte man davon ausgehen, dass der Engel so etwas wie eine Schattenseele besaß, die sich nun zeigte.
Auch Glenda war von diesem Anblick überrascht.
Sie fragte mich mit leiser Stimme: »Kannst du das verstehen, John?«
»Noch nicht.«
»Er sieht irgendwie friedlich aus.«
Da hatte sie bestimmt seinen Gesichtsausdruck gemeint. Ich musste ihr Recht geben. Der gefallene Engel, der auf mich auch irgendwie alterslos wirkte, machte sogar einen zufriedenen Eindruck. Wie jemand, der das große Elend endlich hinter sich hatte und eingegangen war in eine bessere Welt.
Aber da gab es noch etwas, das uns überraschte und auch störte. Der Riss hatte uns einen Blick in den Körper freigegeben, und dort entstanden erste Bewegungen.
Zunächst glaubten Glenda und ich, dass uns unsere Augen einen Streich gespielt hatten. Aber bei zwei Menschen gleichzeitig, das war schon etwas seltsam.
Glenda beugte sich vor, schaute einen Moment und zuckte wieder hoch. »Bäh!«, flüsterte sie und schüttelte sich. »Weißt du, was da herumkrabbelt, John?«
»Nein.«
»Käfer.«
Jetzt schaute auch ich nach. Im dunklen Licht innerhalb der Körperöffnung waren die Tiere tatsächlich zu sehen. Sie bewegten ihre Körper in verschiedene Richtungen. Die Panzer gaben einen kalten Glanz ab. Wäre es stiller gewesen, so hätten wir auch das Schaben der harten Panzer gehört, doch was wir sahen, reichte uns auch.
Glenda stellte sich so hin, dass ich sie sehen konnte. »John«, sagte sie leise, »die Käfer fressen den Engel auf. Wenn wir das zulassen, wird bald nichts mehr von ihm übrig sein.«
Sie irrte sich bestimmt nicht. Und ich wollte nicht, dass die Leiche vor unseren Augen aufgefressen wurde. Deshalb musste ich etwas unternehmen. Es gab nur eine Möglichkeit für mich, um bestimmte Dinge herauszufinden. Das Kreuz hatte ich bereits hervorgeholt, jetzt musste es einfach zum Einsatz kommen.
Ich hielt die Kette fest, als mein Talisman langsam in die Tiefe glitt. Für einen Moment schwebte er noch über dem Körper, dann ließ ich ihn das letzte Stück nach unten sacken.
Es gab den Treffer!
Plötzlich war das Licht da. Das von meinem Kreuz. Diese starke Helligkeit, die im Nu den gesamten Körper umfangen hatte. Der tote Engel trug einen Umhang. Sekundenlang blieb diese Helligkeit um die Gestalt herum und auch in ihr. Die Gestalt bekam ein durchsichtiges Aussehen, und es sah auch aus, als würde sie in der Luft schweben, um dann wieder nach unten zu fallen.
Genau das war eine Täuschung.
Die Kraft meines Kreuzes hatte etwas anderes erreicht und erzielte einen durchschlagenden Erfolg, mit dem ich eigentlich nicht so gerechnet hatte.
Die Gestalt löste sich einfach im Licht meines Kreuzes auf. Es entstand ein Flimmern. Noch einmal bäumte sich das Licht auf und nahm an Helligkeit zu, dann war der Körper verschwunden. Das Licht hatte ihn praktisch aufgelöst.
»Weg!«, flüsterte Glenda. »Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Als hätte es ihn nie gegeben.«
»Ja«, sagte ich nur und betrachtete mein Kreuz, das wieder sein normales Aussehen angenommen hatte. Es war auch keine unnatürliche Wärme zu spüren. Ich konnte es wieder verschwinden lassen, denn die Normalität hatte uns wieder.
Glenda Perkins stand neben mir und hielt sich mit ihren Armen selbst
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