Selbstmord der Engel
aber sie können noch schlecht werden, davon müssen wir auch ausgehen.«
»Kannst du mir das nicht genauer erklären?«
Maxine umfasste die Hände des vor ihr stehenden Mädchens. »Ja, das werde ich, und ich kann dir jetzt schon sagen, dass du dich sehr wundern wirst, Carlotta.«
»Ach, ich bin viel gewöhnt.«
»Das mag sein.« Max hob die Schultern. »Na, dann hör zu.«
Das tat Carlotta auch. Wie es sich die Tierärztin schon gedacht hatte, das Vogelmädchen kam aus dem Staunen nicht heraus. Seine Augen weiteten sich, hin und wieder schüttelte es den Kopf, um schließlich mit leiser Stimme zu fragen: »Das kann doch kein Zufall sein, oder?«
»Ist es auch nicht.«
»Und was tust du jetzt?«
Maxine lachte auf. »Gib mir einen Rat, bitte. Ich bin ebenso überfragt wie John Sinclair. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich kenne auch nicht den Grund, weshalb sich die beiden Engel auf so ungewöhnliche Art und Weise getötet haben. Dass sie es nicht freiwillig getan haben, ist mir schon klar. Aber es muss auch einen Grund für sie gegeben haben, und den würde ich verdammt gern herausfinden.«
»Ich auch.«
»Und John ebenfalls.«
Das Mädchen runzelte die Stirn und setzte sich auf die Lehne eines in der Nähe stehenden Sessels. »Ich habe ebenfalls darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gelangt, dass die beiden Engel auf sich haben aufmerksam machen wollen. Und zwar bestimmte Personen, weil sie davon ausgehen, dass die ihnen zwar nicht helfen können, sich aber für ihre Gründe interessieren. Das genau tun wir und John ja auch.«
Die Tierärztin lächelte und nickte Carlotta dabei zu. »Ja, damit könntest du richtig liegen.«
»Aber wir tun nichts. Das ist doch das Problem. Wir wissen ja nicht, wo wir ansetzen sollen. Ich habe auch hin und her überlegt, aber ich weiß nichts.«
Maxine lehnte ihren Kopf zurück und lächelte verloren. »Möglicherweise können wir gar nichts tun und müssen darauf warten, dass die andere Seite handelt.«
»Würde dir das gefallen?«
»Ganz und gar nicht.«
»Mir auch nicht.«
Die Tierärztin hatte schon nachgedacht, bevor sie etwas sagte. »Auf der anderen Seite bin ich wirklich nicht erpicht darauf, wieder in einen Fall hineingerissen zu werden. Besonders nicht in einen, den ich nicht begreife und bei dem ich auch nicht weiß, welch eine gefährliche Kraft dahinter steckt.«
Carlotta hatte schon begriffen, was Maxine meinte: »Dich würde es also freuen, wenn man uns in Ruhe lässt.«
»Sagen wir doch, Carlotta, es wäre mir zumindest nicht unangenehm. Kannst du damit leben?«
»Bestimmt. Das könnte ich. Nur glaube ich einfach nicht daran. Dass sich der Engel genau dort von den Klippen gestürzt hat, wo ich gewesen bin, das ist kein Zufall. Da steckt viel mehr dahinter. Ich gehe davon aus, dass ich den Selbstmord als Zeugin habe sehen sollen. Deshalb bin ich auch beobachtet worden, und deshalb hat er sich den Ort auch ausgesucht. So sehe ich das eben.«
»Womit du vielleicht nicht mal Unrecht hast.«
Das Vogelmädchen legte seine Hände zusammen und nickte. »Ja, das kann man sagen.«
Carlotta wechselte das Thema. »Und was machen wir jetzt, Max? Willst du dich hinlegen und schlafen?«
»Nein, auf keinen Fall. Könntest du das denn?«
»Überhaupt nicht.«
»Dann werden wir wohl in dieser Nacht auf den Beinen bleiben, denke ich mir.«
»Das glaube ich auch.« Carlotta strich an ihren Armen entlang. »Ich habe das Gefühl, dass es in mir kribbelt. Woher das kommt, weiß ich nicht.« Sie blickte Maxine fragend an. »Kann es sein, dass es ein Zeichen einer gewissen Vorahnung ist?«
»Das ist durchaus möglich.«
»Dann würde in der Nacht noch etwas passieren?«
Es passte Maxine nicht, so direkt gefragt worden zu sein. Deshalb schwieg sie.
Carlotta merkte, dass Maxine nicht mehr weiter über das Thema sprechen wollte, zumindest vorerst nicht, und deshalb schlug sie auch etwas anderes vor.
»Ich hole mir was zu trinken. Möchtest du auch einen Schluck?«
»Nein, danke.«
Das Vogelmädchen ging mit schleppenden Schritten. Es verließ den Raum, ging durch einen schwach erleuchteten Flurteil und näherte sich der Küche.
Es war nichts unnormal im Haus. Alles sah aus wie immer. Trotzdem wurde sie den Druck nicht los, der auf ihrer Brust lastete. Nicht nur dort spürte sie ihn, auch hinter der Stirn war er vorhanden. Dort merkte sie das leichte Pochen.
Sie schaute sich in der Küche um.
Es war ein Raum voller Schatten, die sich wie graue
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