Selbstmord der Engel
liegen. Jetzt wusste sie auch, was der Schlag gegen den Kopf zu bedeuten hatte. Sie war gegen den Boden geprallt und noch vor die Kante der offenen Tür geschlagen.
Aber sie lebte, und das war für Maxine das Wichtigste. Wer lebt, der kann handeln, der kann sich wehren, doch gleichzeitig fragte sie sich, warum der Lügen-Engel sie nicht umgebracht hatte.
Andererseits war sie ihm vielleicht nicht wichtig genug gewesen, denn das eigentliche Ziel hatte er erreicht. Es gab nur noch sie in der Küche. Belial und Carlotta waren verschwunden. Wäre nicht das zerstörte Fenster gewesen und hätte sie nicht die Scherbenstücke auf dem Fußboden gesehen, sie hätte auch an einen bösen Traum glauben können.
Das war er leider nicht. Mit schwerfälligen Bewegungen kam sie wieder auf die Füße und kämpfte gegen Schwindel und gegen die aufkommende Übelkeit an.
Letztere lag daran, dass sie sich so stark ärgerte, weil sie es nicht geschafft hatte, Belial zu stoppen. Aber das war jetzt zweitrangig geworden. Etwas anderes traf sie viel stärker.
Carlotta war nicht mehr da!
In all der Zeit, in der sie bei ihr gewesen war, hatte sie es immer geschafft, das Vogelmädchen zu beschützen. Nicht nur vor drohenden Gefahren, die sie oft genug gestreift hatten, nein, auch vor den Augen der normalen Welt, denn Carlotta war ein Phänomen, das Schutz benötigte, und da hatte sich die Tierärztin wirklich alle Mühe gegeben.
Aber jetzt war alles aus.
Sie konnte nicht mehr. Wie eine Betrunkene schwankte sie zum Fenster, schaute hinaus und blickte dabei in einen leeren dunklen Garten. Sie drehte sogar den Kopf, um am Himmel zu suchen, aber weder von Carlotta noch ihrem Entführer war etwas zu sehen. Das gab ihr die Gewissheit, auf ganzer Strecke verloren zu haben.
Was konnte sie tun?
Nichts!
Was konnten andere tun?
Auch nichts, denn John Sinclair und seine Freunde befanden sich in London, sie konnten nicht nach Dundee gezaubert werden. Es blieb nur eines übrig. Sie musste sich mit John Sinclair in Verbindung setzen und ihm die ganze brutale Wahrheit sagen. Ob er jedoch etwas erreichen konnte, stand in den Sternen, auch wenn ihm dieser Lügen-Engel Belial bekannt war.
Die Tierärztin hob ihr Handy auf, wählte und hoffte, John Sinclair’s Stimme zu hören...
***
Unsere gute Stimmung war längst verflogen. Glenda und ich saßen wie zwei arme Sünder im Fond des Taxis, Verlierer, die vorerst keinen Weg aus dem Dilemma sahen.
An meiner Wohnung ließen wir uns absetzen. Während ich die Rechnung beglich, stand Glenda bereits draußen und schaute hoch in den Himmel.
Der Wagen fuhr wieder weg. Ich stellte mich neben Glenda und hörte ihre Frage. »Glaubst du, dass der Stress vorbei ist? Oder rechnest du mit weiteren Überraschungen?«
»Vorbei ist nichts.«
»Dann rechnest du mit einer Chance?«
»Was soll ich sagen? Allgemein gesprochen, könnte man meinen, dass es sie immer gibt.«
»Das bringt uns nicht weiter.«
»Stimmt.«
»Was könnte mit Maxine Wells passiert sein?« Weshalb konnte ich sie nicht mehr erreichen?
Ich hob die Schultern. »An das Schlimmste will ich nicht eben denken. Zuletzt hat sie davon gesprochen, dass Belial auf sie zugekommen ist. Das lässt vieles offen. Dann brach die Verbindung ab.«
Glenda nickte, gab aber keine Antwort. Sie drehte sich um und ging auf das hohe Haus zu, in dem ich wohnte. Es stand wie eine Wand vor uns, die viele helle Lücken aufwies. Erleuchtete Fenster, denn die Menschen waren um diese Zeit und bei diesem Wetter noch nicht zu Bett gegangen. Sie sorgten für Durchzug in den Wohnungen, und sicherlich gab es viele, die die gesamte Nacht über nicht schlafen konnten.
Im Haus selbst war es relativ kühl, und wir atmeten durch. Der Portier oder Hausmeister war auch da. Er hockte in seiner Loge und winkte uns müde zu.
Schweigend betraten wir den Lift und fuhren hoch. Glenda, die mir gegenüber an der Wand lehnte, fragte: »Willst du Suko informieren?«
»Daran habe ich gedacht. Ich weiß nicht, ob er und Shao zu Hause sind. Bei dem Wetter wird es sie sicher ins Freie gezogen haben.«
»Hätte ich an ihrer Stelle auch getan.«
Wenig später schloss ich meine Wohnungstür auf Ich betrat den kleinen Flur und schaltete das Licht ein. Dabei war ich wie auf dem Sprung, aber niemand erwartete mich, und so konnte ich mich wieder entspannen.
Es war stickig, warm. Glenda ging sofort dazu über, Fenster zu öffnen, was mir sehr entgegenkam. Der Durchzug tat gut, brachte allerdings
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