Selbstmord der Engel
die Station.
Während des Telefonats hatte ich Glenda Perkins so gut wie nicht angeschaut. Jetzt blickte ich sie wieder an und sah den traurigen Glanz in ihren Augen. Zwar schaute sie mir ins Gesicht, doch gleichzeitig sah sie ins Leere. Sie kannte die Lösung auch nicht, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Ohne fremde Hilfe geht es nicht«, sagte ich mehr an mich selbst gerichtet.
Glenda schreckte zusammen.
»Ja, das stimmt«, flüsterte sie. »Kannst du mir verraten, wer uns helfen sollte?«
»Leider nicht.« Ich hob die Schultern an. »Oder doch?«
»Wie doch?«
Ich dachte einen kurzen Moment nach und kam dann zum Thema. »Ich erinnere mich daran, Glenda, dass ich Hilfe bekam, als ich Belial zum ersten Mal gegenüberstand. Das heißt, ich wurde auch gewarnt. Und zwar durch Raniel, den Gerechten
»Oh. An ihn hatte ich nicht gedacht.«
»Nun ja, er ist auch weit weg. Aber es gibt ihn. Er hat mich damals auf die Spur gebracht. Er ist kein Freund des Lügen-Engels, das steht fest. Aber er verfolgt auf der anderen Seite auch eigene Ziele. Er geht seinen Weg, und davon lässt er sich nicht abbringen. Ich weiß nicht, ob wir auch jetzt auf ihn vertrauen können. Es würde mich wahnsinnig freuen, wenn es so wäre. Er besitzt die Gabe, Dimensionen überbrücken zu können. Er schafft es, in den Bereich der Engel zu gelangen, die ebenfalls sehr unterschiedlich sind, aber das brauche ich dir nicht zu sagen.«
»Da hast du Recht. Nur ist er mir ziemlich fremd. Ich habe noch keinen Kontakt mit ihm gehabt.«
»In diesem Fall wünsche ich ihn mir herbei.« Beide Hände ballte ich zu Fäusten. »Ich habe auch das Gefühl, dass ich nicht grundlos an ihn denke. Er ist jemand, der beobachtet und eingreift. Er sorgt auf seine Art und Weise für Gerechtigkeit. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er einem Selbstmord der Engel so einfach zuschaut.«
»Der Engel, John?«
»Ja.«
»Dann gehst du also davon aus, dass es nicht bei diesen beiden Taten bleibt?«
»So ist es.« Ich schaute gegen das Fenster, um etwas von dem lauen Wind abzubekommen. »Ich kann mir vorstellen, dass es erst der Anfang gewesen ist. Es wird weitergehen. Er wird groß aufräumen. Er will sich etwas schaffen. Er braucht Platz, und deshalb hat er die Engel in den Selbstmord getrieben. Aber sie haben auf sich aufmerksam gemacht. Trotzdem sind wir nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. So sieht es aus, und so könnte es auch bleiben, fürchte ich.«
»Und was hat er dann mit dem Vogelmädchen vor?«
Ich zuckte die Achseln.
»Du kannst dir nichts vorstellen?«
»Leider nein. Möglich, dass er sich etwas beweisen will, aber da bin ich mir auch nicht sicher.«
Glenda nickte, und wie zufällig schaute sie auf ihre Uhr. »Mitternacht ist vorüber und...«
Den Satz sprach sie nicht zu Ende, denn etwas hatte sie gestört. Und mich ebenfalls. Es war ein Geräusch an der Wohnungstür, das bestimmt keinen normalen Ursprung besaß.
Ich schnellte aus dem Sessel hoch. Noch in der Bewegung griff ich zur Waffe. Mit gezogener Beretta stürmte ich in den Flur und sah, dass sich die Tür öffnete.
Wenn der Einbrecher die Wohnung betrat, würde er genau in das Loch der Mündung schauen. Zugleich korrigierte ich mich selbst. Ich konnte mir schlecht vorstellen, dass mich ausgerechnet jetzt ein Einbrecher besuchte. Nein, nein, das Öffnen der Tür musste einen anderen Grund haben.
So war es auch.
Sie schwang langsam auf. Mein Blickfeld erweiterte sich immer mehr. Wenig später sah ich ihn. Er stand auf der Schwelle und bewegte sich nicht. Aus seinen dunklen Augen schaute er mich an, und ich steckte die Beretta wieder weg.
Von diesem Besucher hatten Glenda und ich vorhin noch gesprochen.
Es war Raniel, der Gerechte!
Carlotta hatte alles vergessen!
Ihre Ziehmutter Maxine, die Zeit bei ihr, das Glücklichsein, die Ruhe und auch die weniger schönen Erlebnisse. Jetzt zählte einzig und allein die Person, die sie so gelockt hatte und einen so übermenschlichen Einfluss auf sie ausübte.
Belial war mit ihr gegangen. Er hatte sie sogar an die Hand genommen, und es machte ihr nichts aus, neben einem monsterhaften Wesen herzuschreiten. Als einen normalen Menschen konnte man ihn nicht ansehen. Der Nackte mit den langen Haaren und dem grauen Körper. Es war eine Gestalt, die in einem Menschen den Abscheu hochsteigen ließ, und doch war sie etwas Besonderes.
Carlotta konnte es nicht erklären. Sie fand die Flügel auf seinem Rücken beeindruckend, denn
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