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Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)

Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Schröger , Katharina Gerwens
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sechs aufgestanden, nach Plattling gefahren und zwischen seinen Regalen abgetaucht. Wochenenden, Festtage und so schreckliche Termine wie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten hatten diesen Rhythmus durcheinandergebracht, hatten ihn in sein Häuschen mit dem handtuchgroßen Garten zurückgeworfen und ihn in den Fernseher, das Internet oder auf die Straße starren lassen. Aber da war auch nichts los.
    Seit seine Mutter vor vier Jahren an zu viel Alkohol und noch mehr Verbitterung gestorben war, hatte auch so gut wie niemand mehr bei ihm angerufen.
    Einmal hatte er per Internet eine junge Frau kennengelernt. Sie hatte ihm gefallen, und er hatte ihr während des ganzen Abendessens von seinen Lagerbestandsberechnungen und den spannenden Problemen der Logistik erzählt, dabei viel zu viel Wein getrunken, was ihn ungewöhnlich gesprächig machte, und sich selbst ein klein wenig angepriesen. Verschämt hatte er sich Birgit gegenüber als Diplombetriebswirt zu erkennen gegeben, denn sie sollte wissen, was sie an ihm haben würde: Diplombetriebswirt mit eigenem Haus – das hörte sich doch vielversprechend an.
    Aber die junge Frau hatte während seiner Vorträge durch ihn hindurchgesehen, ihre mittelblonden Haare gezwirbelt, ihn regelmäßig und leicht abwesend angelächelt, sich dann entschuldigt, sie müsse mal für kleine Mädchen – und war einfach nicht zurückgekehrt. Wenn er daran dachte, schämte er sich. Er hatte kein Glück bei den Frauen. Er war farblos und langweilig.
    Als Kind war er von seinen Klassenkameraden um eine Mutter beneidet worden, die gar nicht wissen wollte, wie seine Noten aussahen, und erst recht nicht darauf bestand, dass er der schnellste Kurzstreckenläufer seines Jahrgangs wurde oder als Stürmer die meisten Tore schoss. Sie war in einem ihm unverständlichen Jammer verpuppt gewesen, der wie ein dunkles und schwarzes Tuch über ihr zu hängen schien. Bevor er »Mama« sagen konnte, hatte er schon gelernt, ihre gierigen Schluck- und Glucksgeräusche nachzuahmen. Manchmal fragte er sich, wie er trotz dieser Hindernisse seinen Weg bis zum Diplombetriebswirt hatte gehen können – vermutlich indem er sich versteckte, nicht auffiel und keinen Widerstand bot. Er war nun mal nichtssagend, und er hatte auch nichts zu sagen.
    »Das stimmt doch gar ned. Du bist stark«, hatte Malwine einmal behauptet und ihn auf eine Art mit ihren hellblauen Augen angesehen, dass ihm ganz warm ums Herz wurde. »Glaub mir, jeder andre hätt eine solche Kindheit ned einmal überlebt. Und du hast obendrein noch studiert. Da sieht man amal, was du für zähe Gene hast.«
    Er hatte diese Gespräche geliebt, sich ausgeruht in ihrer Bewunderung, sich getragen gefühlt von ihrer Zuversicht. So eine Mutter hätte er gebraucht: eine, die neugierig war und wissen wollte, was er dachte und fühlte, und die sich einen Mann und ihm einen Vater zur Seite gestellt hätte, der nur Bestleistungen erwartete und diese von einem wie Meinrad bekommen hätte. Ein solcher Vater hätte nie damit drohen müssen, dass der »Watschenbaum umfällt«, denn sein Sohn hätte ihm nichts als Freude bereiten wollen. Dafür hätte dieser Vater mit ihm geredet, wäre vielleicht sogar mit ihm angeln oder zu den Spielen vom FC Großöd-Pfletzschendorf gegangen und hätte ihn beschützt und verstanden.
    Meinrad Hiendlmayr hatte von klein auf lernen müssen, nur mit sich selbst zu leben. Natürlich hatte es immer mal wieder die Sehnsucht nach einem G’spusi gegeben, und er hatte von Freundschaften und Nähe geträumt, nach der Pleite mit Birgit jedoch eher so, wie andere von Lottogewinnen träumten: ohne sich wirklich vorstellen zu können, dass es sie geben könnte.
    Als kleiner Junge hatte Meinrad in jedem Mann, den er bewunderte oder der auch nur freundlich zu ihm war, einen geheimnisumwitterten Vater vermutet, der sich bedauerlicherweise aus spionagetechnischen Gründen nicht zu erkennen geben durfte und insgeheim noch mehr litt als sein Sohn.
    Wenn er seiner immer grauer und knochiger werdenden Mutter gegenüber derartige Hypothesen äußerte, sah sie ihn von oben herab an, schüttelte müde den Kopf und griff zur Cognacflasche. »Du hast ja keine Ahnung. Nix weißt du, gar nix. Es war einmal eine große Liebe, und jetzt ist es nur noch ein einziger großer Schlamassel, ein hirnloser Schmarrn.«
    Tatsächlich hatte Meinrad bereits als kleiner Junge die bittere Erfahrung machen müssen, dass seine Mutter nichts anderes zu lieben schien als ihre Cognac-

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