Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
sich nicht gerade rosig oder gar nach heiler Welt an.«
»Vielleicht bin ich deshalb zur Witwe meines Vaters gegangen, um ihr das vorzuwerfen«, murmelte Meinrad nachdenklich. »Als kleiner Junge hab ich immer gedacht, irgendjemand hat all dieses Unglück zu verantworten, einer trägt die Schuld. Und als ich dann in diesem Sommer von der Kalkhölzl erfuhr, dachte ich, ich fahr zu ihr, beschimpfe sie und zahl ihr alles heim. Aber das ist gar nicht mehr nötig.«
Franziska spürte, wie sich ihr die Haare aufstellten. »Was?« Sie erschrak vor ihrer eigenen Frage. »Haben Sie ihr was angetan?«
»Nein, ich habe ihr nichts getan.« Meinrad lächelte bitter. »Das macht sie schon selbst. Sie säuft. Meine Mutter hat sich die Welt schön getrunken, die da aber trinkt, um sich systematisch zu vernichten. Komisch, der Alkoholismus ist das Einzige, was diese Frauen gemeinsam haben und was sie zerstört. Der Alkohol – aber vielleicht auch dieser Mann, der mein Vater war. Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat sie sofort gewusst, wer ich bin. Als hätte sie mich beobachtet, all die Jahre lang. Und sie hat mich mit einem Blick angesehen, nein, den kann ich gar nicht beschreiben. Nicht mal böse, sondern eher verwundert – als wäre ich ein Außerirdischer. Und sie schien Angst zu haben. Angst vor mir!«
»Hat sie was gesagt?«
»›O Gott‹, hat sie gemurmelt. ›O Gott, o Gott‹. Es war Mittags um zwei, und sie war so betrunken, dass sie nicht einmal mehr gerade stehen konnte. Und wissen Sie was? Auf einmal hat sie mir leid getan. Trotz allem. Das hab ich dann wiederum so unheimlich gefunden, dass ich gehen musste. Und ich hab mir gedacht: Auf mich wartet wenigstens ein Hund. Auf die aber niemand.« Er seufzte. »Das war’s schon, ich brauchte nur jemanden, dem ich das erzählen konnte. Danke fürs Zuhören, Frau Hausmann.«
Dann wies er auf das vor ihnen liegende Papier. »Schauen Sie, die Kalkhölzl Angelika, die hat mir der Dr. Hellmann auch noch in meinen Stammbaumausschnitt reingemalt. Aber von der geht kein Strich weg. Denn mit der ist dann Schluss, keine Nachkommen. Eine ganze Dynastie von Kiesgrubenbesitzern – aus die Maus. Das war’s dann.« Er wies auf die Zeichnung und rieb sich die Nase. »Hätte sie mich akzeptiert, gäb’s wenigstens einen Erben. Aber was sollte ausgerechnet ich mit Kies?«
»Hellmann, Dr. Günther Hellmann? Sie kennen ihn?« Franziska hatte sich gerade hingesetzt und fixierte ihr Gegenüber.
»Ja.« Meinrad nickte. »Die Martha hat ihn aufgetan. Wirklich bewundernswert, was er da auf die Beine stellt. Wissen Sie, der erforscht nämlich die Geschichte des Vilstals. Im Rahmen dieser Forschung hat er wohl auch alle Verwandtschaftsverhältnisse in einem riesigen Stammbaum festgehalten. Der ist angeblich so groß, dass alle vier Wände seines Arbeitszimmers damit überzogen sind.«
»Angeblich? Sie haben ihn also noch nicht gesehen?«
»Nein. Und so wie ich ihn verstanden habe, zeigt er ihn auch besser niemandem.«
»Warum nicht?«
»Zu brisant. Schauen Sie mal.« Meinrad wies auf die Kopie aus dem Tagebuch der Hebamme seiner Mutter. »Bis ungefähr 1850 hat er sich nur an die Kirchenbücher und die Aufzeichnungen aus der Gemeinde halten können. Aber dann sind ihm immer mal wieder Aufzeichnungen von Hebammen in die Hände gefallen. Weil er der Bibliothekar ist, sind die Dinger halt bei ihm gelandet. Er hat gleich gewusst, was für einen Schatz er da in Händen hält. Dadurch wird sein Gläsernes Vilstal noch durchsichtiger. ›Sie können sich nicht vorstellen‹, hat er mal gesagt, ›was für ein Pulverfass das ist. Damit muss man ganz vorsichtig sein.‹ Deshalb hat er auch nur auf Anfrage Informationen weitergegeben, andernfalls könnt es Mord und Totschlag geben, so, wie da die Erbfolgen durcheinandergeraten. Ein toller Typ ist das, der Hellmann Günther. Wenn der nicht wär, hätt ich die Malwine nie kennengelernt.«
»Na endlich, was höre ich denn da! Den Namen Günther Hellmann! Jetzt kommt ihr also doch zur Sache. Waren Sie auch bei der Jagd?« Bruno Kleinschmidt hatte beim Betreten des Büros Meinrads letzten Satz gehört und baute sich jetzt vor ihm auf. Der Hund knurrte leise.
»Dieser unsägliche Bürgermeister hatte mich tatsächlich als Treiber eingeladen«, erwiderte Meinrad Hiendlmayr kopfschüttelnd. »Aber ich bin natürlich nicht hingegangen. Ich hab ihm gesagt, dass Malwine meine Tante ist und dass ich jetzt da oben im Brunnerhof wohn, und schon ist er so
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