Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
er sich vier lange Monate im Glück. Dann erst vermisste er seine Bequemlichkeit und die bis dato reichlich fließenden Mittel und machte sich zum ersten Mal in seinem Leben Gedanken darüber, ob und wie er seine neue Familie ernähren könnte.
Im Gegensatz zu anderen Frauen blühte Beate während ihrer Schwangerschaft nicht auf. Sie wurde auch nicht schöner. Sie bekam Pickel, fettige Haare und watschelte auf eine Art über die Straßen, die an überfütterte Mastgänse kurz vor Martini denken ließ. Ihr Bauch machte ihr Angst, und sie hielt sich an dem goldenen Ring ihres Liebsten fest, als verheiße der Rettung. Ihr ganz persönlicher Rettungsring. Sie fühlte sich hässlich und nichtswürdig. Den Harbinger Andreas dagegen ereilte angesichts seiner immer näher rückenden Vaterschaft ein erstaunliches Gefühl der Verantwortung. Mit jedem neuen Menschen würde eine neue Welt geschaffen, pflegte er begeistert zu verkünden und sich aufzuführen, als sei ausgerechnet sein Kind zur Rettung der Welt ausersehen. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass es ein Bub werden würde. Und der sollte Meinrad heißen.
Aber dann kam die Frau mit dem steinernen Herzen und sagte: »Ein Kind machen kann ein jeder, aber einen Hof führen und klug wirtschaften, das ist die Kunst. Und wenn du mit der Schlampen zusammenziehst und dich scheiden lässt, so siehst du keinen einzigen Pfennig mehr und kannst schaun, wo du bleibst. Dann ist der Ofen aus. Und zwar für immer. Und in der Hölle wirst auch dereinst schmoren!«
Fatalerweise hatte ihm am Abend zuvor auch noch Kreszentia, die Wirtin des Blauen Vogels, die Monatsrechnung präsentiert. Knapp neunzig Mark.
»Her mit dem Geld, ich muss auch sehn, wo ich bleib«, hatte sie gesagt und die Hände in die Hüften gestemmt.
Im Gastraum war es still geworden.
Obwohl er wusste, dass er grad noch eine Mark vierunddreißig besaß, griff Andreas souverän in seine Hosentasche, holte den Geldbeutel hervor, öffnete ihn und tat verwundert: »Ja, Kruzifix, wo ist denn das ganze Geld geblieben?«
»Jetzt tu doch ned so, als hättest noch was. Wie willst mich je bezahlen? Deine Frau steht nicht mehr für dich grad«, hatte Kreszentia mit eisiger Stimme festgestellt. »Wenn du deine Rechnung ned binnen einer Woch begleichst, gibt’s Lokalverbot.«
Bis dahin hatte er nicht gewusst, was Scham ist und wie sehr man sich schämen kann.
Er spürte die Blicke der anderen. Eisigen Speerspitzen gleich glitten sie ihm unter die Haut und ließen ihn frösteln.
»Für neunzig Mark hat er mich verraten«, sollte Beate der Hebamme anvertrauen, und die wiederum vermerkte diese Aussage in ihrem Tagebuch. »Für lumpige neunzig Mark.« Der Harbinger Andreas ging zurück zu seiner Frau und versprach seiner Geliebten: »Ich sorg für euch, versprochen. Sag dem Kind, dass ich ein lieber Onkel bin. Du kriegst auch jeden Monat Geld.«
Aber Beate wollte keinen Onkel für ihr Kind. Sie wollte eine Familie. Voller Bitternis vertraute sie der Hebamme an, dass sie sich zu jenen Unglücklichen zählte, die immer genau das ereilt, was sie am meisten fürchten.
Das alles wusste Meinrad Hiendlmayr zu erzählen, und als Franziska fragte, wie es denn mit dieser Geschichte weitergegangen war, berichtete Meinrad das, was er von seiner Tante erfahren hatte, nämlich dass die Frau mit dem steinernen Herzen nie wieder ein Wort mit ihrem Mann gewechselt haben soll, er aber bei ihr bleiben musste. Bis zu seinem Tod. Und der kam ziemlich schnell.
»Sehen Sie«, sagte Meinrad und wies auf den Registerauszug des Kleinöder Geburts- und Sterberegisters. »Er wurde nicht einmal vierzig.«
»Das bedeutet, dass Ihre Mutter nicht gerade lange von ihm unterstützt wurde«, stellte Franziska nachdenklich fest.
Meinrad nickte. »Aber nicht wegen des fehlenden Geldes ist ihr Leben aus dem Ruder gelaufen, sondern weil sie es nie verwunden hat, dass sie so enttäuscht wurde. Sie wollte mit ihm alt werden, immer mit ihm zusammen sein. Als ich noch ein Kind war, hat sie mir jeden Abend davon erzählt. Manche Kinder bekommen Gutenachtgeschichten vorgelesen und Märchen mit Happy End. Doch bei der Geschichte, die meine Mutter mir erzählte, wusste ich immer schon um ihren tragischen Ausgang, Tag für Tag, Abend für Abend. Was hätte ich als Kind dafür gegeben, einmal ein anderes Ende zu hören oder, besser noch, zu erleben. Einen Vater zu haben!« Er seufzte.
Franziska schluckte. Sie konnte sich diese Kindheit gut vorstellen. »Das hört
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