Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
zu. Sie blieb vor dem Hügelchen mit dem schlichten Kreuz stehen und faltete bewegt die Hände.
»Ist es nicht schön?« Sie sah zu dem Mann an ihrer Seite.
Der nickte nachdenklich, holte eine Digitalkamera aus seiner Tasche und begann zu fotografieren.
»Das können S’ gleich dazuschreiben, dass das alles Beweise sind«, unterrichtete Martha ihn. »Die Brieferl da, das sind nämlich Dankesbriefe und Bittbriefe, je nachdem. Wir alle hier haben es erfahren: Wenn man zur heiligen Agnes betet und dabei an die Harbinger Agnes denkt, dann gehen die beiden, also die Heilige und die Harbinger Agnes zu Gott persönlich, und der erfüllt ihnen dann ihre Wünsche, was ja streng genommen unsere irdischen Wünsche sind. Aber dass die Wünsche erfüllt werden, ist ein Zeichen dafür, wie nah sie bei unserem Herrn sind. Alle beide. Und wer so nah beim Herrn ist, der hat ja gar keine Wünsche mehr, oder?«, fügte sie hinzu und sah ihn fragend und erwartungsvoll an.
Doch Bruder Ägidius nickte nicht, schüttelte auch nicht den Kopf, sondern umrundete weiterhin schweigend mit seiner Kamera die Grabstätte.
»Hätten S’ vielleicht a bisserl Hunger? Ich hätt für Notfälle fei noch eine Brotzeit dabei.«
»Ja, gern!«
Er verdrückte das Leberwurstbrot mit den Gewürzgurkenscheiben, ging in kleinen Schritten neben ihr her, und sie erklärte ihm ihre Gemeinde, wusste von jedem Haus, wer dort wohnte und welche Wunder sich bereits zugetragen hatten beziehungsweise noch erwartet wurden. Dabei hielt sie ihren Kopf besonders hoch und fragte sich insgeheim, was die Leute nun von ihr denken mochten. Sie, Martha Moosthenninger, Hochwürdens Haushälterin, Bürovorsteherin und Schwester in einer Person, hatte einen jungen Ordensbruder zu Gast, dem sie die Welt erklären durfte und der an ihren Lippen hing.
»Was ist mit ihren Kardinaltugenden?«, fragte Ägidius Alberti seine Begleiterin mit einem Mal.
Martha blieb wie erstarrt stehen. »Was? Muss ich denn auch tugendhaft sein?« Nicht dass sie ihre Tugendhaftigkeit anzweifelte, aber diese Frage war ihrer Meinung nach nun doch etwas zu intim.
Er lächelte – zum ersten Mal, seit sie ihn kannte.
»Nein, keine Angst, ich dachte an die von der Harbinger Agnes.«
»Alles bestens«, beteuerte Martha, ohne nachzudenken. »Da fehlt nichts. Also da müssen Sie sich wirklich keine Sorgen machen.«
Sie hätte jetzt gern wieder einen langen Vortrag gehalten, denn der Ordensbruder stellte immer so komplizierte Fragen, wodurch alles so verzwickt und anstrengend wurde. Zudem wusste sie nicht auf Anhieb, was genau er mit den Kardinaltugenden meinte. Hatte das nicht was mit Glaube, Liebe und Hoffnung zu tun?
Um die Stille zu füllen und ihn am weiteren Fragen zu hindern, stotterte sie los: »Also der Agnes ihr Glaube war unerschütterlich, das könnt man so sagen. Hätt sie auch nur einmal gezweifelt – ich wüsst es. Und geliebt, ja geliebt hat sie sicher auch, wissen Sie …« Dann fiel ihr ein, dass ihre Aussage natürlich kirchenkonform sein musste. »Also sie hat vor allem die Kirche geliebt und natürlich alle kleinen Viecherl, jede Katz, jeden Hund, jede Maus. Und jeden Sonntag ist sie zur heiligen Messe und auch zur heiligen Kommunion gegangen, das kann Ihnen mein Bruder bestätigen.« Sie hielt kurz inne, sah zu dem hochgewachsenen Mann an ihrer Seite und überschlug in Windeseile, wie sie den Begriff Hoffnung mit der Harbinger Agnes in Verbindung bringen könnte. Das war nicht so einfach. Aber dann plapperte sie erneut drauflos: »Und gehofft hat sie auch, dass es einen richtigen Frieden geben möge in dieser unserer Welt. Ihr ganzes Herzblut hat sie dafür hergegeben.«
Der Mann an ihrer Seite schwieg. Vermutlich musste er das, was sie ihm alles so erzählte, erst einmal verarbeiten. Sie wähnte sich in Sicherheit.
Still schritten sie nebeneinander her, gingen bei den Daxhubers vorbei und erreichten das Haus von Charlotte Rücker und Bernhard Döhring. An allen Fenstern waren die naturholzfarbenen Rollos heruntergelassen. Am helllichten Montag. Als habe das weiß gestrichene Gebäude für sich beschlossen, seine Augen vor dem Unglück der Welt zu verschließen.
»Die hat wahrscheinlich nicht genügend Fürbitten zu unserer Agnes geschickt, die Halber Gertraud. Denn wenn sie unter dem Schutz meiner Freundin gestanden hätte, wäre sicher niemals der ihr Verlobter erschossen worden«, kommentierte Martha Moosthenninger die schrecklichen Ereignisse des vergangenen Samstags und
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