Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
fing sich einen kritischen Blick ihres Begleiters ein. Na gut, vielleicht war diese Bemerkung nicht ganz respektvoll gewesen, aber war das ein Grund, sie dermaßen tadelnd anzusehen? Auch ihr Bruder konnte so gucken. Vielleicht war es überhaupt eine Eigenschaft von Männern, so vorwurfsvoll und schulmeisterlich zu schauen, dass sich die Frauen unter diesem Blick ganz klein und elend fühlten.
Ägidius Alberti seufzte. Er hatte sein Leberwurstbrot gegessen und faltete nun das Einwickelpapier sorgfältig zusammen.
»Könnt ich denn nun mal ein Wunder sehen?«, fragte er ohne großes Interesse und ließ seinen Blick zweifelnd über die leere Dorfstraße schweifen.
»Gleich zwei fallen mir da ein«, entgegnete Martha. »Also zum einen ist sie der Frau vom Bürgermeister im Traum erschienen und hat ihr verkündet, dass sie sich ein Treibhaus zulegen soll.«
»Hm, aha«, kommentierte ihr Begleiter.
»Und zum anderen hat sie oben auf dem Brunnerhof die Existenz einer Quelle geweissagt, aus der ganz heißes Wasser kommt. Heiß und salzig. Der Waldmoser Markus, was unser Bürgermeister ist, hat das Wasser schon prüfen lassen, und der Prüfer hat selbst gesagt: ›Komisch, für mich ist das ein Wunder – das hier ist eine Solequelle, wo es doch sonst hier in der Gegend nur Thermalquellen gibt. Sehr eigenartig.‹« Sie nickte bekräftigend.
»Die möchte ich sehen«, sagte Ägidius mit strenger Stimme. Es klang wie ein Befehl.
In diesem Moment schlug die Kirchturmuhr. »Jessas naa, schon dreiviertel elfe, da muss ich mich aber schicken, dass ich noch ein g’scheites Mittagessen auf den Tisch bring«, meinte Martha mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. »Ist es Ihnen recht, wenn ich Ihnen heut Nachmittag die Quelle zeig? Also nach dem Essen?«
Kapitel 11
Während des Mittagessens schwieg der Abgesandte des Bischofs und reagierte auf die höflichen Fragen Wilhelm Moosthenningers lediglich mit Nicken oder Kopfschütteln.
Martha bewunderte ihren Bruder und war gleichermaßen enttäuscht von ihm. Als Pfarrer wusste Wilhelm, wie dieser »Spion des Himmels« – so nannte sie ihn insgeheim – angesprochen werden musste. »Bruder Ägidius«, sagte er artig zu dem dünnen Mann mit dem hungrigen Blick, »Sie haben doch sicher als Erstes den Friedhof und dieses Grab voller Devotionalien und Dankesbriefchen besucht? Es freut mich sehr, dass Sie sich der Sache annehmen und für Klarheit sorgen.«
Ägidius Alberti nickte und lud sich Kartoffeln und Gemüse auf den Teller, offenbar dankbar darüber, dass er sich mit dem Nicken ein Wort seines begrenzten Kontingents ersparen konnte.
In seiner Eigenschaft als Hochwürden kann er so schön reden, dachte die Moosthenningerin und warf ihrem Bruder einen missmutigen Blick zu, jeden depperten Schwachsinn erzählte er ihr, aber dass ein so besonderer Gast wie dieser Herr Bruder Ägidius mit seinen Worten haushalten musste, hatte er ihr verheimlicht. Sogar das Tischgebet war schweigend vollzogen worden. Sie hatte es genau registriert.
»Ich persönlich halt ja nix von dieser Heiligenverehrung, noch bevor die Kirche ihren Segen dazu gegeben hat«, fuhr Wilhelm Moosthenninger fort, »aber die Frauen, verstehen Sie, es sind ja durchweg Frauen – die brauchen halt jemanden im Jenseits, dem sie ihre Sorgen anvertrauen und mit dem sie ihre Kümmernisse besprechen können. Dabei wird das Gleiche oftmals um einiges besser mit einem guten Beichtgespräch geleistet und wäre damit ganz im Sinne der Kirche, oder?«
Ägidius Alberti nickte mit vollem Mund.
Martha war davon überzeugt, dass auch Männer am Grab ihrer Agnes gestanden und ihre Bittbrieflein hinterlassen hatten. Hatte sich nicht einiges im Dorf getan? War nicht der Dr. Maronna dort aus der Neubausiedlung von einer schlimmen Krankheit genesen? Das hatte sogar ihr Bruder Wilhelm feststellen müssen, der regelmäßig mit dem Doktor und Ingenieur Schafkopf spielte. »Für uns alle ist das wie ein Wunder. Jetzt sitzt er wieder da, hält seine Karten wie immer und sucht die Schellensau wie nix. Dabei hatt ich schon die letzte Ölung für ihn herrichten müssen!« Und fuhren nicht einige Jugendliche aus dem Ort nun regelmäßig mit dem ersten Bus um sechs Uhr neunundfünfzig zu ihren Ausbildungsplätzen, obwohl es geheißen hatte, in der Region sei absoluter Lehrstellenmangel?
Das alles hätte sie gern angeführt, aber es waren Informationen, auf die der Spion des Himmels nicht allein mit einer Kopfbewegung reagieren konnte. Wer
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